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Archiv-Artikel

Träume und Schäume

SPONSORING Red Bull will anscheinend in Leipzigs Fußball investieren. Warum der Oberligist SSV Markranstädt ins Visier der Österreicher kam und warum eingefleischten Leipziger Fußballfans die Haare zu Berge stehen

„Ich habe versucht, den FC Sachsen mit ins Spiel zu bringen, aber die wollten keinen Traditionsverein, sondern den dritten Weg“

Winfried Lonzen, FC Sachsen

VON MARKUS VÖLKER

Sie sind verunsichert beim SSV Markranstädt. „Wir tappen völlig im Dunkeln“, sagt der Platzwart. Vielleicht bringen die ja einen neuen Platzwart mit, einen besseren, einen echten Profi, fürchtet er. „Dabei ist unser Rasen eigentlich tipptopp.“ Die – das sind die Leute von Red Bull. Angeblich will der Brauseproduzent aus Österreich groß in den Leipziger Fußball einsteigen. Den SSV Markranstädt haben sie sich ausgeguckt, eine Oberligamannschaft mit nur einem Fanclub, den Blue Boys. Das sind acht, neun Anhänger, „aber ob die mit Red Bull weitermachen, bezweifle ich“, sagt Sven Scholz. Geplant ist eine Komplettübernahme. Der SSV würde mit einem Happs geschluckt werden. Der Verein, der in drei Jahren sein Hundertjähriges feiert, würde den Brausemillionären das Spielrecht für die Oberliga spenden. Der SSV hieße dann, wahrscheinlich erst ab der Saison 2010, Rasenball Leipzig, RB wie Red Bull. Das wäre so wie damals beim LR Ahlen, der hieß offiziell Leichtathletik und Rasensport Ahlen, doch standen die Initialen für ein Kosmetikunternehmen.

„Wir sind gespalten“, sagt der Platzwart, „wenn die kommen, dann wäre alles weg, was Kultur ist.“ Die Fußballkultur beim SSV ist nicht so groß, richtig hochklassig haben sie nie gespielt, die Kicker aus Markranstädt. Viel größer ist die Geschichte beim FC Sachsen Leipzig und bei Lokomotive, doch Red Bull dürfte es nicht ungelegen kommen, dass sie sich nicht mit der Last der Historie abplagen müssen, sondern die Herren im Haus sind, wenn sie ihren Masterplan verwirklichen wollen. Der Platzwart meint, dass die „Fanklubs von Sachsen und Lok alles abgeblockt hätten“, und liegt damit völlig richtig. Ganz bewusst haben die Manager von Red Bull die Traditionsvereine gemieden – und eine Tingeltour durch die Vorstädte unternommen. Sie haben beim Zipsendorfer Fußballclub Meuselwitz e. V. angeklopft, bei Blau-Weiß und Eilenburg. Dass es letztlich Markranstädt werden könnte, das entbehrt in der an Insolvenzen, Irrungen und Wirrungen reichen Leipziger Fußballgeschichte nicht einer gewissen Komik.

Doch aus dem Kleinklub am Rande der Messestadt soll ein Großklub werden, ein Verein, der das Zentralstadion füllt. Die Arena würde dann auch von den Getränkeleuten okkupiert, sie wollen sich angeblich die Namensrechte am Stadion, der Sporthalle in der Nähe und Festwiese sicher. Unterschrieben ist freilich noch nichts, alle warten sie auf die verbindlichen Verträge. Falls es zum Kontrakt kommt, würde die Getränkedose mit dem Bullen überall zu sehen sein. Ob jemals guter Fußball zu sehen sein wird, das ist ungewiss. Ein gewisser Mo Melzer im „Fan-Forum“ des SSV Markranstädt sieht eine „ungewisse Zukunft“ hereinbrechen und trauert jetzt schon um seinen „kleinen, feinen Verein“, der den „unfähigen Machern von Leipzig“ zum Opfer falle. Dirk Sander, Pressesprecher von Lokomotive Leipzig, sagt: „Lok hat große Skepsis.“ Er findet es nicht nachvollziehbar, „was da jetzt gehypt wird“, vor allem die regionalen Zeitungen überschlügen sich geradezu. „Dabei hat Leipzig seine Erfahrungen mit großen Mäzenen und dem schnellen Erfolg gemacht“, sagt er. Er meint: sehr negative Erfahrungen. „Man sollte gewarnt sein vor solchen Retortenprojekten. Die sind auf Sand gebaut.“ Er glaubt nicht, dass der längerfristig angelegte Plan der Österreicher aufgeht. „So etwas macht nur den Fußball kaputt, sehen Sie sich Austria Salzburg an.“ Der dortige Verein ist in der Hand von Dietrich Mateschitz, dem Boss von Red Bull, die echten Fans haben sich von Red Bull Salzburg abgewendet und die lilafarbene Austria neu gegründet. Unterklassig feiert die Basis sich selbst und den reinen Fußball, ganz oben feiert Mateschitz den Meistertitel.

Vom Erfolg und einem im Glanz erstrahlenden Leipzig träumt auch Winfried Lonzen, 64, Immobilienverwalter aus Köln. Er sitzt im Vorstand des insolventen FC Sachsen und fungiert gleichzeitig als Chef der Betreibergesellschaft des Zentralstadions, ist ein Hintermann vom Michael Kölmel, dem Stadioneigner. „Schönes Stadion und grottiger Fußball, damit könnte es bald vorbei sein“, sagt Lonzen. „Wir haben jetzt eine tolle Chance.“ Lonzen klingt müde, seine Worte, die Euphorie vermitteln sollen, passen nicht zu seiner Stimmung. Vielleicht liegt’s daran, dass sich die Verhandlungen mit Red Bull länger als erwartet hinziehen. Bereits am Dienstag sollte alles klar sein, jetzt verspricht Lonzen, dass es noch in dieser Woche klappen könnte. Schade findet er es, dass sich Red Bull nicht, wie schon einmal geschehen, an den FC Sachsen wendet, sondern an einen Leipziger Kleinklub. „Ich habe versucht, den FC Sachsen mit ins Spiel zu bringen, aber die wollten keinen Traditionsverein, sondern den dritten Weg.“ Der dritte Weg sei der einzige Weg, sagt Lonzen, „um in Leipzig auf absehbare Zeit Profifußball zu etablieren“. Eine Fusion von Lok und Sachsen hätte auch etwas bewirken können, glaubt er, aber da die Feindschaft zwischen diesen beiden Klubs zu groß ist, müsse eben nun diese Variante her: die rein ökonomische. Lonzen würde sogar so weit gehen, die Jugendabteilung, „die unheimlich viel Geld verschlingt“, an RB Leipzig zu verscherbeln, denn „die Traditionsvereine sollten in irgendeiner Form mit Red Bull kooperieren“. So ergebe sich für alle eine „Win-win-Situation“.

In den vergangenen Jahren hat sich Fußball-Leipzig mit vier Insolvenzen und einer Vereinsliquidierung (VfB) auf Lose-lose-Situationen spezialisiert. Die eingefleischten Fans wollen nicht daran glauben, dass dies in Zukunft anders sein sollte.