: Mit großem Ernst komplett unvernünftig
Ein catchy inszenierter Event für die ganze Familie, der voll gestopft ist mit fast 500 Exponaten, aber leider nicht die Frage aufwirft, warum Menschen eigentlich spielen: die Sonderausstellung mit dem schön lakonischen Titel „Spielen. Die Ausstellung“ im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden
VON KIRSTEN RIESSELMANN
Für Hape Kerkeling, den Lieblingsshowmoppel der Deutschen, ist das ganze Leben ein Quiz und ein jeder ewiglicher Kandidat. Oberseelenklempner Sigmund Freud dagegen wittert im Spiel den Widerpart zur Wirklichkeit. Und Chansonnière Annett Louisan darf seit drei Monaten in einer Endlosschleife in Funk und Fernsehen verbreiten, dass sie auf eine ernsthafte Liebesbeziehung pfeift und „doch nur spiel’n“ will. Was das Spiel ist – die „eigentliche“ Realität, ein bloßer Rollenübungsmodus für Kinder oder ein mehr oder weniger legitimes Vergnügen abseits allen Lebensernstes –, darüber zerbrechen sich Kulturwissenschaftler, Anthropologen und Ethnologen seit jeher den Kopf. Der Homo ludens schien dem ab- und aufgeklärten Homo sapiens so lange ein Dorn im Auge zu sein, wie er sich nicht ausschließlich Planspielen zur Optimierung von Kriegstaktik und Börsenstrategie widmete.
Darum scherte er sich aber nicht allzu sehr: Bis heute würfelt und zockt er, er daddelt und zieht Joker, er ersehnt die neue Playstation, rennt jeden Samstag ins Stadion und fährt am Wochenende zu Mittelalter-Rollenspielen in den Odenwald oder gleich nach Baden-Baden ins Casino. Wenn auch heute oft ein bisschen im Geheimen und argwöhnisch beäugt von Psychologen und Kriminologen, bringt er sich immer noch aus Spaß an der Freud zum Lachen und Weinen, gründet er Klubs und Männerbünde und macht den Staat durch seine Lotto- und Spielbankeinsätze um 4,5 Milliarden Euro pro Jahr reicher. Dabei macht er sich manchmal auch zum Fall einer Suchtberatung, zum Illegalen oder – siehe Deutschland –zum Entwicklungsfall in Sachen Verbreitung von (Computer-)Spielen für Erwachsene.
Letzte Woche eröffnete das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden eine Sonderausstellung mit dem lakonischen Titel „Spielen. Die Ausstellung“. Das Museum hat sich mit „Der (im)perfekte Mensch“ und „Mensch und Tier“ in den letzten Jahren in den guten Ruf gebracht, breit gesteckte allgemein-anthropologische Felder zu beackern und dabei bunte Mitmach-Expositionen auf die Beine zu stellen. Das ist jetzt wieder gelungen: „Spielen“ ist ein catchy inszenierter Event für die ganze Familie, voll gestopft mit fast 500 Exponaten – Computerspiele, archäologische Kostbarkeiten, verspielt assoziierte Gimmicks wie sprechende Boxsäcke und anzuprobierende Theaterkleider aus dem Fundus. Die AusstellungsmacherInnen haben ihr Thema gevierteilt: Das Spiel tritt in vier Räumen als Wettkampf, als Identitäts-, Strategie- und als Glücksspiel auf. So kann beispielsweise in einer mit Tartan-Imitat ausgelegten Arena, die voll gehängt ist mit großformatigen Gewinner- und Verlierer-Pressefotos, „Ben Hur“ geguckt werden, während auf den Monitoren daneben das Fernsehduell Schröder/Stoiber läuft und zwei Meter weiter auf sprechende Boxsäcke eingedroschen wird. Der visuell-haptische Überschwang der Ausstellung ist so groß, dass die konzeptuellen Schwachstellen der Schau sich gut verstecken können. Die Frage „Wie spielen Menschen?“ wird zwar mit einer umfassenden Ansammlung von Spielautomaten, Fußballschuhen, Kasperlepuppen, Black-Jack-Tischen und exotischen Wissenssplittern à la „Schon um 100 n. Chr. spielten die Germanen das Orakelspiel ‚Zitterwackel‘“ gut illustriert. Aber eine Verknüpfung dieser Exponatmengen zur weitaus interessanteren Frage „Warum spielen Menschen?“ wird nicht geleistet. Auch wenn Museumsdirektor Klaus Vogel die Ausstellung als „Bekenntnis zum Spiel“ wertet, ist sie häufig nicht viel mehr als eine Predigt des pädagogisch wertvollen Spiels – Kinder grüner Bildungsbürger dürfen dieses Spiel in einer Videoinstallation vorführen –, eine Warnung vor dem Glücksspiel und ein Herumlavieren um das Computerspiel, zu dem man die Begriffe „Avantgarde“ einerseits und „Gefahr“ andererseits droppt, ohne Stellung zu beziehen.
Was der Ausstellung fehlt, ist eine Annäherung an die soziale Funktionalität des Spielens: Warum hat sich über das Spiel gerade der Wettkampf als Grundzug gesellschaftlichen Lebens institutionalisiert? Wofür muss das Spiel heute herhalten, wenn spielerische „Tools“ für kreative Problemlösungen und Teamentwicklung in Unternehmensberatungen eingesetzt werden?
Es wäre an der Zeit, den spielenden Menschen nicht nur facettenreich und oberflächlich zur Schau zu stellen, sondern die absolute Besonderheit des Spielens herauszukitzeln und damit das zu aktualisieren, was der niederländische Kulturphilosoph Johan Huizinga schon 1938 feststellte: dass es Lust bereitet, sich im Rahmen fester Regeln zu bewegen, dass man beim Spielen, und vielleicht nur da, völlig frei sein kann von Reproduktionsideologie – „Häusle bauen! Kinder kriegen!“ – und dass man beim Abfeiern dieses großen Als-ob mit großem Ernst komplett unvernünftig sein darf.
„Spielen. Die Ausstellung“. Deutsches Hygiene-Museum Dresden, bis 31. Oktober 2005