: 1.000 Folgen tief
Am Sonntag läuft die 1.000. Folge „Lindenstraße“. Bedeutend ist die Serie schon lange nicht mehr. Manche Momente waren aber stil-, manche sogar bewusstseinsprägend. Eine subjektive Auswahl
Kollektive Küsse (Foto 1)
Welten brachen zusammen: Der junge Carsten Flöter! Schwul! Skandal! Die Lindenstraße erhebt spätestens seit Folge 49 (gesendet: 9. 11. 1986) Anspruch auf den Vorposten der medialen Aufklärung. Das erste TV-Coming-out: in der Lindenstraße. Der erste schwule TV-Kuss: in der Lindenstraße. Die erste schwule TV-Hochzeit: in der Lindenstraße, und damals noch rein symbolisch, denn noch war Kohl Kanzler. Hella von Sinnen ließ sich nicht lumpen und sprach als Festrednerin. Die frühen Homo-Figuren hatten noch kriminelle Extravaganzen, wie Tanjas große Liebe Sonja. Ob das dem Plan, Schwule und Lesben als ganz normale Leute zu etablieren, zugute kam, sei dahingestellt. Die heutigen Homo-Pärchen fallen vor lauter Normalität kaum noch auf. Da geht Friseur Lotti schon als Paradiesvogel durch. DX
Armer Papa (2)
Das Treppenhaus der Lindenstraße Nummer drei ist kalt und unbarmherzig. Hier enden kleinbürgerliche Träume. Als Hans Beimer in Folge 218 im Neonlicht auf den gefliesten Stufen saß, war seine Spiegelei-Ehe mit Helga nicht mehr zu retten. Nachdem er ihr verschwiegen hatte, dass Anna ein Kind von ihm erwartet, warf ihn die Mutter aller Mütter aus der Wohnung. Kleider flogen durch die Luft, die Beimer-Bälger heulten. Es war unvorstellbar: Nie wieder grundspießiges Klampfen unterm Weihnachtsbaum? Der Hansemann in Hans starb an diesem traurigen Abend. Der Glauben an eine heile Familienwelt auch. Der ewig normale Hans setzte die Normalität aufs Spiel und wurde doch nur zum deprimierten Hausmann. Das Treppenhaus mahnt noch heute: Nichts bleibt, wie es ist. Beim nächsten Elternstreit hoffte ich, die Schlussmelodie käme dem Treppenhaus zuvor. PAB
Gestorben wird immer
Der bislang grausigste Tod ereilte Pfarrer Matthias Steinbrück via Bratpfanne aus der Hand der zwielichtigen Lisa (Folge 507, 20. 8. 1995). Niemand sonst starb so spektakulär. Amélie von der Marwitz und Ernst-Hugo von Salen-Priesnitz begingen einen romantischen Selbstmord auf einem Rosenbett. Gestorben wurde aber stets auch hochaktuell. Gabys erster Mann Benno erlag einer Aids-Erkrankung, ihr Sohn Max wurde 1998 Opfer eines Kinderschänders. Zuletzt starb Helgas Quasi-Schwiegertochter Maja an Darmkrebs. Wenn die Schauspieler wirklich verschieden, musste man ihre Rollen holprig aus dem Skript hinausschreiben. Berta Griese fiel heroisch im Kampf gegen einen Verbrecher auf offener Straße, und Egon Kling überfuhr 1998 während der Fußball-WM in Paris ein Moped. DX
Frauentausch (3)
An den Folgen „Wer mit wem“ und „Angebote“ aus dem Frühjahr 1992 (29. 3. und 5. 4. 1992) lassen sich zwei Ansprüche der „Lindenstraße“ erklären: zum einen soll den altgedienten Schauspielern ab und zu die Möglichkeit gegeben werden, einmal aus ihrer angestammten Rolle heraustreten zu dürfen. Zum anderen darf es auch einmal lustig zugehen im Köln-Münchner Sozialzoo. Beide Pläne wurden in diesen Folgen allerdings grandios verfehlt. Else Kling (Annemarie Wendl) will einen von ihrem Gatten Egon gewonnenen Besuch auf einer Schönheitsfarm wahrnehmen und muss sich zu diesem Zweck als Mann verkleiden. Der Plan geht auf. Niemand erkennt sie. Ganz großer Unsinn.
KUZ
Das jüngste Gericht (4)
Die Folge 132 (12. 6. 1988) markierte das erschreckend abrupte Ende des dubiosen Tennislehrers Stefan Nossek (Dietrich Siegl) und festigte gleichzeitig den moralischen Anspruch der „Lindenstraße“. Denn: das konnte, das durfte nicht gut gehen mit einem Erpresser, Betrüger und Frauenhelden. Nach vielen kriminellen und amourösen Eskapaden musste Nossek also von Gott Geißendörfer verhängte schlimmste Strafen ertragen: von Klausi Beimer versehentlich angeschossen, erblindete Nossek, um dann, nur kurze Zeit später, von einem Auto angefahren zu werden. Der Unfall endete tödlich. Und warum hastete der blinde Tunichtgut über die Straße? Aus Gier nach Champagner!
Fotos (4): ARD KUZ