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Archiv-Artikel

Libysche Lager unmenschlich

FLÜCHTLINGSPOLITIK Vor vier Jahren höchst umstritten, heute Praxis: die Internierung von Flüchtlingen in libyschen Lagern – unter direkt menschenverachtenden Bedingungen

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Der Brief, mit dem sich heute in Luxemburg die Innenminister der EU-Staaten befassen, wird bei manchen ein Déjà-vu auslösen. Innenkommissar Jacques Barrot schlägt vor, Mittelmeerflüchtlinge unter der Regie des Flüchtlingshochkommissariats UNHCR in Libyen zu betreuen und gleichzeitig in Europa freiwillige Aufnahmeländer zu suchen. Damit sollen Italien und Malta, die über einen großen Ansturm an Bootsflüchtlingen klagen, entlastet werden.

Vor vier Jahren machte der damalige Bundesinnenminister Schily diesen Vorschlag und erntete einen Sturm der Entrüstung bei Hilfsorganisationen und Politikern. Sein Nachfolger Wolfgang Schäuble sagte: „Internierungslager am Rande der Sahara sind nicht die Lösung.“ Was hat sich in den letzten fünf Jahren verändert, um die Idee mehrheitsfähig zu machen?

Nach Überzeugung von Chris Nash vom Europäischen Flüchtlingsrat Ecre kommen mehrere Faktoren zusammen: In Italien und Malta sei die Stimmung inzwischen offen fremdenfeindlich. Libyen sei eher bereit, Flüchtlinge aufzunehmen, als noch vor fünf Jahren. Den Morgen des 7. Mai, als die italienische Marine 227 gerettete Bootsflüchtlinge direkt nach Libyen abschob, ohne sie vorher untersucht oder registriert zu haben, bezeichnet Nash als „Wendepunkt“ in der europäischen Flüchtlingspolitik. Menschenrechtliche Grundsätze würden nun offen verletzt.

Christopher Hein vom italienischen Flüchtlingsrat hat ein Lager 40 Kilometer westlich von Tripolis besucht, in dem auch Bootsflüchtlinge von der Abschiebung Anfang Mai untergekommen sind. Das Lager sei schon zuvor mit 600 Menschen hoffnungslos überfüllt gewesen. Unter den Neuankömmlingen befanden sich laut Hein drei schwangere Frauen, eine davon im neunten Monat. Er habe immerhin erreichen können, dass diese Frau in ein Krankenhaus in Tripolis gebracht wurde.

Männer und Frauen seien getrennt untergebracht, 80 Menschen müssten mit 64 Quadratmetern auskommen. Es gebe zwei offene Toiletten und zwei Wasserhähne für alle. Sogar der Direktor habe eingeräumt, dass nicht genug Platz sei, dass alle gleichzeitig schlafen könnten.

Nicht einmal die libyschen Behörden wissen, wie viele solche Lager es im Land gibt. Das UNHCR schätzt, dass es zwischen 25 und 50 sind. Die Flüchtlingsorganisationen haben bislang nicht einmal 10 davon gesehen, „und sicher nicht die schlimmsten“, vermutet Hein. Die Kosten trägt überwiegend der libysche Staat, dazu kommen einige private Spenden und ein geringer Beitrag aus Italien. Ecre kritisiert, wie unausgewogen die europäische Förderung ist: 20 Millionen Euro zahlt die EU an Libyen, damit die Südgrenze Richtung Sahara besser abgeschottet wird. Für die Verbesserung der Standards in den Lagern, für die Ausbildung von Helfern und ärztliche Versorgung stehen nur 2 Millionen Euro zur Verfügung.

Derzeit arbeitet Ecre mit dem UNHCR und den libyschen Behörden an einem auf drei Jahre angelegten Projekt, um die Standards zu heben. Mittelfristig, so glaubt Chris Nash, könnten die Flüchtlingsströme so besser kanalisiert werden. Wenn die Möglichkeit geschaffen würde, Asylanträge direkt im Lager oder bei der jeweiligen Botschaft in Tripolis zu stellen, würden weniger Flüchtlinge die gefährliche und teure Fahrt über das Meer riskieren. „Kurzfristig ist das aber keine Option“, glaubt Nash.