: Regiert wie Kasse leer
Der Kanzlerbrief ist reif fürs Archiv: Bremen bekommt kaum finanzielle Hilfe vom Bund. Das Riesenloch im Haushalt sollen neue Kredite schließen. Der Senat will weiter regieren
bremen taz ■ Es gibt Kaffee im Pressesaal des Rathauses. Kaum sind die Tassen gefüllt, betreten die Politiker den Raum: Carsten Sieling, SPD-Landesvorsitzender. CDU-Chef Bernd Neumann. Und der Regierende selbst: Henning Scherf.
Der Bürgermeister verkündet nach der Sitzung des Koalitionsausschusses, was ohnehin jeder weiß. Kanzler Gerhard Schröder hat seine Zusage nicht eingehalten. Der Bund wird Bremen nach Ablauf des Sanierungsprogramms finanziell nicht helfen. Henning Scherf sagt nicht, wo der „Kanzlerbrief“ heute liegt. Ob er ihn schon ins Staatsarchiv gegeben hat?
Henning Scherf sagt, dass er auf den Brief gebaut habe und dass „die Sache mit dem Brief zu Ende gebracht werden musste“. Das sei eine Sache zwischen dem Kanzler und ihm gewesen. Wie die Sache zwischen dem Kanzler und ihm heute ist, das sagt der Bürgermeister nicht. Mehr als ein „Ich bin enttäuscht“ kommt ihm nicht über die Lippen.
Nach dieser kurzen Enttäuschung ist Scherf aber gleich wieder froh, dass er Geld für ein paar Projekte bekommt. Die Bundesregierung wolle den Bau der A 281 und den Ausbau der Cherbourgerstraße mit bezahlen. 200 Millionen Euro sollen von Berlin nach Bremen fließen. Er habe die „feste Zusage von Finanzminister Hans Eichel und Bundeskanzler Schröder“, so Scherf.
Doch auch mit dieser „Zusage“ sitzt Bremen in der Tinte. „Die erwarteten Zuwendungen lösen unser Haushaltsproblem nicht.“ So formuliert es Henning Scherf. Und die versammelten Journalisten schreiben mit. Denn die versprochenen 500 Millionen Euro sind bereits in den Bremer Haushalt eingestellt. Jetzt muss Finanzsenator Ulrich Nußbaum dafür neue Kredite aufnehmen. Der Haushalt des kleinsten Bundeslandes ist somit nicht verfassungskonform.
„Daran können wir jetzt nichts mehr ändern“, ruft Bernd Neumann den Journalisten zu. Der Bremer CDU-Chef wird lauter und wieder leiser. Engagiert soll das wirken und selbstbewusst. Seine Botschaft: „Die Not schweißt unsere große Koalition zusammen.“ Er sei traurig, dass man sich nicht „auf das schriftlich gegebene Wort“ des SPD-Kanzlers verlassen könne. Jetzt verlässt er sich auf die Zusage über die 200 Millionen Euro.
Wie der Bremer Senat die Finanzen sanieren will, berichtet dann sein SPD-Kollege Carsten Sieling. Er will als erstes beim Bundesverfassungsgericht klagen und die Bundesregierung so zwingen, das Land weiter zu subventionieren. Gleichzeitig versuche der Senat, die Sanierungspolitik fortzusetzen und in Berlin weiter zu verhandeln.
Wie das zusammen passt, will ein Journalist wissen: gleichzeitig verhandeln und klagen. Bislang hieß es schließlich, das sei unklug. Das gehe schon, brummt Henning Scherf jetzt. In dieser angespannten Lage müssten „alle zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft werden“. Also weiter sparen, damit Bremen selbstständig bleibt. „Wir kämpfen ums Überleben“, sagt Scherf. Ende der Durchsage. Er steht auf, muss zur Klausurtagung der SPD: Die Sparpläne diskutieren. Die Journalisten haben ihren Kaffee ausgetrunken. Am Freitag ist Koalitionsausschuss. Die Tassen werden dann wieder voll sein. Wie man die Kassen voll bekommt, das weiß heute allerdings niemand. Kay Müller