Davos entdeckt die Solidarität

Bei ihrem Vorstoß für internationale Abgaben zur Finanzierung dringender globaler Aufgaben nutzen Jacques Chirac und Gerhard Schröder eine neue politische Stimmung: Nach dem Tsunami scheint das Bewusstsein für Solidarität geschärft

AUS GENF ANDREAS ZUMACH

Zum Abschluss des 35. „Weltwirtschaftsforums“ im Schweizer Skiresort Davos gab es am Wochenende zwei Meldungen: Der Direktor der Internationalen Atomenergieagentur, Mohammed al-Baradei, forderte, die USA sollten sich „aktiv“ an den diplomatischen Bemühungen der EU zur Beilegung des Konflikts um das iranische Atomprogramm beteiligen. Und die Handels- und Wirtschaftsminister aus 30 Mitgliedsländern der Welthandelsorganisation (WTO) bekräftigten, dass sie die laufende Verhandlungsrunde Ende des Jahres mit einem Abkommen besiegeln wollen. Bis Juli soll ein Vertragsentwurf vorliegen.

Das relevanteste Ereignis des diesjährigen Forums hatte aber schon vor ein paar Tagen stattgefunden: Mit Jacques Chirac und Gerhard Schröder unterstützten erstmals zwei Regierungschefs aus dem reichen Norden Vorschläge für internationale Steuern zur Finanzierung dringender globaler Aufgaben. Allein zur Aidsbekämpfung müsse die Staatengemeinschaft über die bisherigen freiwilligen Beiträge hinaus mindestens 10 Milliarden Dollar jährlich mobilisieren, erklärte der französische Präsident. Darüber hinaus erfordere die Umsetzung der im Jahr 2000 von einem UNO-Gipfel beschlossenen „Millenniumsziele“ zur Verringerung der Armut um die Hälfte bis 2015 eine drastische Erhöhung der Entwicklungshilfe.

Als geeignete Instrumente nannte Chirac neben der Besteuerung internationaler Finanztransaktionen und von Flugbenzin und Kreditkartenzahlungen auch Abgaben auf Flugtickets, Umweltemissionen, Waffenverkäufe und Lotterieeinnahmen. Zudem sollten die steuerlichen Anreize für Spenden erhöht werden. Staaten wie die Schweiz, die weitgehend am Bankgeheimnis festhalten, sollten eine Abgabe auf bei ihren Banken deponierte internationale Fluchtgelder entrichten. Kanzler Schröder ging in seiner Davoser Rede zwar nicht so ins Detail, begrüßte aber die Idee einer internationalen Steuer zumindest auf spekulative Finanztransaktionen.

Hinter dem Vorstoß aus Paris und Berlin steht die Erkenntnis, dass die Umsetzung der Millenniumsziele und die Eindämmung von Aids – die beiden wichtigsten Vorhaben, die die 191 UNO-Staaten seit Ende des Kalten Krieges im Konsens proklamiert haben – ohne drastische Erhöhung der finanziellen Ressourcen scheitern werden.

Der politische Moment scheint günstig. Die Flutkatastrophe im Indischen Ozean hat auch im reichen Norden das Bewusstsein für die globale Schicksalsgemeinschaft geschärft. Und die überwältigende Hilfsbereitschaft für die Tsunami-Opfer könnte ein Indiz sein, dass auch weiter gehende, auf längerfristige Wirkung angelegte Maßnahmen der internationalen Solidarität mehr Unterstützung in der Bevölkerung finden könnten, als die Verantwortlichen in Regierung und Parlament bislang angenommen haben. Selbst wenn das mehr Steuern bedeutet.

meinung und diskussion SEITE 11