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Archiv-Artikel

„Wir waren die Idioten aus dem Osten“

INTERVIEW RALPH BOLLMANN

taz: Herr Schindhelm, Sie übernehmen als Chef der Berliner Opernstiftung den größten und wohl schwierigsten Opernbetrieb der Welt. Den Posten wollte außer Ihnen und dem Geschäftsführer der Städtischen Bühnen Frankfurt keiner haben. Warum waren ausgerechnet Sie darauf versessen?

Michael Schindhelm: Es sind ja nicht alle 82 Millionen Deutschen gefragt worden. Aber warum die eine oder andere Mimose des Theaterbetriebs den Job nicht haben wollte, können Sie sich im Nachhinein gut vorstellen. Sie müssen sich nur anschauen, welchen Vorwürfen ich in den letzten Monaten ausgesetzt war. Man hat im Grunde gesagt: Die wirklich kompetenten Leute haben abgesagt, da ist nur diese Pfeife übrig geblieben. Aber mit solchen Verdächtigungen muss man leben, wenn man nach Berlin kommt.

Die Berliner Opernszene gilt nicht gerade als Hort des modernen Musiktheaters, wie Sie es in Basel vertreten haben. Wie wollen Sie die drei Häuser umkrempeln?

Es wäre verfehlt, das Basler Konzept auf drei Häuser zu übertragen. Dann würde man ja überall das Gleiche sehen. Die Komische Oper und die Staatsoper gehen mit neuen Regisseuren bereits in eine Richtung, die mit verstaubtem Operngeschehen nichts mehr zu tun hat. Aber die Deutsche Oper hat eine ganz andere Geschichte, und sie befindet sich in Charlottenburg. Dort gibt es nicht die Konzentration von hauptstädtischer Kultur, wie es Unter den Linden der Fall ist.

Sie degradieren die Deutsche Oper, das größte Haus, zum Abspieltheater fürs Westberliner Bürgertum?

Mitnichten! Das Repertoire, das es an der Deutschen Oper gibt, erzählt etwas über die Geschichte von Oper: die Totengeister von Übervater Götz Friedrich. Es wäre falsch zu sagen: Oper hat nichts mit Museum zu tun. Oper hat auch mit Museum zu tun, wie sie mit der Gegenwart zu tun hat. Wenn ich auf der Höhe der Zeit sein will, muss ich auch auf der Höhe der Geschichte sein. Und das Neue entsteht nicht nur aus dem Regietheater.

Meinen Sie das ernst – oder sagen Sie das, weil man es so hören will?

Das fragen Sie ausgerechnet jemanden, der in dieser Stadt monatelang durch den Kakao gezogen wurde? Ich habe schon in vielen Nesseln gesessen, damit habe ich kein Problem. Aber ich bin gegen jede Form von Dogmatismus. Die Entwicklungen verlaufen heute nicht mehr linear, auch in der Oper nicht. Das habe ich nicht in den letzten vierzehn Tagen einstudiert.

Zu solchen Ansichten hat der Regisseur Peter Konwitschny mal in einem taz-Interview gesagt: „Wenn Oper nichts ist als Trällerei, dann ist sie asozial und überflüssig.“

Das hätte sicher auch Götz Friedrich so unterschrieben. Auch wenn uns seine Aufführungen ästhetisch nicht mehr so überzeugen wie damals, haben sie trotzdem eine Gültigkeit, historische Gültigkeit. Oper ist Oper – und insofern ist es auch wichtig, dass wir leistungsfähige Sänger und Dirigenten haben. Und neue Stoffe. Frau Harms, …

die neue Intendantin der Deutschen Oper, …

… wird es uns bestimmt zeigen.

Sie haben es vor allem mit sehr eigenwilligen Künstlern zu tun. Wie wollen Sie Daniel Barenboim vorschreiben, was er zu tun und zu lassen hat?

Es geht nicht darum, Herrn Barenboim irgendwelche Vorschriften zu machen. Zumindest nicht im künstlerischen Bereich. Herr Barenboim ist ein großartiger Weltkünstler. Berlin kann froh sein, dass er weiterhin hier ist.

Sie finden sich mit Ihrer Machtlosigkeit also ab?

Ich interpretiere meinen Job nicht unter Machtgesichtspunkten. Der Intendant ist übrigens an jedem Theater der Ohnmächtigste von allen. Ohne die Armee, die er regiert, kann er nicht mal die nächste Probe organisieren.

Aber er kann notfalls durchgreifen?

Auch der Geschäftsführer der Opernstiftung kann eingreifen, wenn etwas aus dem Ruder läuft. Aber ich hoffe, dass wir uns ohne die Paragraphen der Satzung verständigen können.

Über Ihren Studienaufenthalt im russischen Woronesch haben Sie einmal geschrieben, Sie hätten dort Biegsamkeit gelernt. Ist das ein anderes Wort für Opportunismus?

Unter bestimmten Verhältnissen braucht man die Fähigkeit, ein Stück weit neben sich zu stehen. Aber nicht zu jedem Zeitpunkt. Es gibt Grenzen der Flexibilität. Verwandlung bedeutet nicht Beliebigkeit. Nehmen Sie zum Beispiel einen Schauspieler. Er trägt auf der Bühne eine Maske. Aber ohne seine eigene Persönlichkeit könnte er die Rolle nicht verkörpern. Beliebigkeit heißt dagegen, dass der Mensch verschwindet und nur noch die Maske da ist.

Als junger Quantenchemiker haben Sie sich an der Ostberliner Akademie der Wissenschaften das Büro mit Angela Merkel geteilt. Sie beide zählen zu den wenigen Ostdeutschen in Führungspositionen, denen man eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit zuschreibt. Woher kommt diese Härte?

Naturwissenschaftler nehmen die Welt sehr sachlich wahr. Das allein reicht zwar nicht aus, um in einem Amt Übersicht, Klarheit und eine gewisse Härte zu zeigen. Es ist aber eine wichtige Voraussetzung. Vor allem, wenn man auch sich selbst gegenüber sachlich und hart bleiben kann. Man verletzt sich dann weniger leicht als jemand, der naiver auf die Welt schaut und die Dinge mehr vom Wünschbaren als vom Tatsächlichen her bestimmt.

Wenn Sie sehen, was Angela Merkel heute macht – ist Ihnen das völlig fremd geworden?

Das würde ich nicht sagen. Aber natürlich sehe ich in Angela Merkel einen völlig anderen Menschen als Sie. Das hat einfach mit dieser Nähe in einer völlig anderen Zeit zu tun. Wenn Angela Merkel heute auf einem Foto neben dem amerikanischen Präsidenten steht, dann amüsiert mich das. Ich kann gar nicht ohne diese Ironie an Angela Merkel denken.

Hätten Sie sich vorstellen können, dass sie zur CDU geht?

Ich hätte mir nicht einmal vorstellen können, dass sie überhaupt eine politische Karriere macht. Noch in der Wendezeit hat man in ihrer Umgebung andere politische Optionen für möglich gehalten.

Was wäre die Alternative gewesen?

Während der Zeit, in der Angela und ich uns sehr nahe waren, haben sich im Westen die Grünen konstituiert. Der Umweltschutz war ja auch bei uns ein wichtiges Thema. Aber diese Versammlungen mit den Haustieren, den wahnsinnigen Emotionen, dem hysterischen Feminismus, und dann gab es noch ein paar Altnazis – das Ganze war einfach nur bizarr.

Auch über die Achtundsechziger haben Sie sich nicht sehr schmeichelhaft geäußert. Woher diese Abneigung?

Was mich an den Achtundsechzigern vor allem gestört hat, war nach der Wende ihre ständige Besserwisserei. Diese Leute haben es nie geschafft, uns als gleichwertige Menschen zu sehen. Sie haben uns in generöser Arroganz getätschelt und damit zu verstehen gegeben, dass wir die Idioten aus dem Osten sind. Ein wirkliches Interesse an Ostdeutschland hat, bis auf wenige Ausnahmen, nur der konservative Teil der Bundesrepublik gehabt.

Ihr neues Buch handelt von einem Westdeutschen, der für die SPD als Spitzenkandidat in Sachsen antritt. Hätten Sie sich auch in einen Politiker der CDU oder der PDS hineinversetzen können?

CDU wäre denkbar gewesen. PDS wohl kaum. Für die Romanfigur habe ich mir einen Exoten vorgestellt, der nirgendwo wirklich dazugehört. Das Exotische ist ein Phänomen, das mich schon seit meiner Kindheit beschäftigt. Vielleicht, weil ich es selbst bis zu einem gewissen Grad verkörpere – manchmal freiwillig, manchmal unfreiwillig.

Was haben Sie gegen die PDS?

Ich spüre einfach einen inneren Widerstand gegenüber dieser einfarbigen Partei – auch wenn ich jetzt in dem Berliner Kultursenator einen sehr gedankenreichen Menschen kennen gelernt habe.

Wenn Ihre Romanfigur den Rechtsradikalismus erklärt, dann klingt das sehr nach PDS. Er spricht vom „sozialen Terror, der auf dem Feld sozialer Benachteiligung gedeiht“. Ist das auch Ihre Position?

Ähm – nein, das ist nicht meine Meinung. Aber es geht schon um die Frage, wie attraktiv die Demokratie bei uns eigentlich noch ist. Es geht um Mitwirkung. Ein wachsender Teil der Bevölkerung hat seine Mitgliedschaft in dieser Gesellschaft längst aufgekündigt. Er fühlt sich nicht repräsentiert, in seinen Interessen nicht vertreten.

Was folgt daraus für die Strategie gegen die NPD in Sachsen?

Die demokratisch orientierten Parteien müssen es schaffen, ihre Repräsentationsfähigkeit zu erhöhen. Zum Beispiel durch Persönlichkeiten, mit denen man sich identifizieren kann. Das hat in einigen ostdeutschen Ländern eine Zeit lang sehr gut geklappt.

Sie meinen beispielsweise mit Kurt Biedenkopf?

Oder Stolpe. Aber Biedenkopf hatte diesen Königscharakter, der mit August dem Starken identifiziert wurde. Das war ein Bild, das im kulturellen Fundus der Sachsen noch vorhanden war. Das hat man wiederbelebt, weil man gesehen hat: In Bayern funktioniert das schon lange Zeit sehr gut.

Von Bayern lernen heißt also die NPD besiegen lernen?

Die CSU ist extrem repräsentationsfähig. Deshalb ist sie ein hochinteressantes Studienobjekt. Sie zeigt nicht nur, wie man polarisiert – sondern auch, wie man integriert. Das hat übrigens nicht nur mit dem Wohlstand zu tun. Der ist auch in Bayern bekanntlich sehr ungleich verteilt, ohne dass es an der enormen politischen Macht dieser Partei etwas geändert hätte. Auch das habe ich übrigens nicht in den vergangenen vierzehn Tagen auswendig gelernt.

Warum sollten Sie? Die CSU hat bei der Hauptstadtkultur ja nicht so viel zu sagen.

Das kann sich aber irgendwann ändern. Wer die Erfahrung des Mauerfalls verinnerlicht hat, der glaubt nicht mehr an Gewissheiten für alle Zeiten. Heute ist das vielleicht keine schlechte Voraussetzung.