: Hüther des Sozialstaats und Gegner von Reformen
UMVERTEILUNG Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, lobt das Sozialsystem
BERLIN taz | Es gibt sie trotz Wirtschaftskrise noch, die Manschettenknopfträger der Republik. Im anthrazitfarbenen Anzug und mit perfekt gebundener Krawatte präsentierte Michael Hüther, Direktor des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft, am Donnerstag seine neuesten Forschungserkenntnisse.
„Lassen Sie es uns gleich anfangen“, sagt Hüther. „Im Ergebnis ist der deutsche Sozialstaat effektiv und vermeidet Armut“.
Der Chef des arbeitgebernahen Wirtschaftsinstituts hat viel Papier mitgebracht. Denn seine Wissenschaftler haben eine Studie ausgearbeitet, die zeigen soll, ob der Sozialstaat funktioniert – und tatsächlich von Reich zu Arm umverteilt.
Das Resultat: Das System arbeite hervorragend. Das Vorurteil, die Armen zahlten gar für die Reichen, sei widerlegt. „Es ist eindeutig“, doziert Hüther, „wer in Deutschland mehr verdient, zahlt auch mehr.“
Ähnlich räumt die Studie mit anderen Annahmen auf: Nur Reiche profitieren von Steuerschlupflöchern? „Stimmt nicht“, sagt Hüther. Die Deckelung der Sozialbeiträge bevorteilt Besserverdiener? Hüther: „Nicht zu belegen.“ Kinder ein Armutsrisiko? „Nach unserer Statistik nicht.“ Immerhin gesteht Hüther ein, dass „die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergeht“ – das werde aber durch den Sozialstaat nahezu ausgeglichen.
Wer also eine Reform zulasten der Besserverdiener fordere, sei auf dem falschen Weg. Eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze etwa würde, so Hüther, „kaum einen Effekt bringen“ und überhaupt müsse man fragen, „ob eine weitere Belastung der Gutverdiener gerecht ist“.
Zwischen den Zeilen verrät die Studie hingegen eine völlig andere Tendenz: Der Anteil am Einkommen, den man an Sozialabgaben abführt, ist nämlich gerade für die Besserverdiener am geringsten. 17 Prozent ihres Einkommens zahlt das reichste Zehntel der Bevölkerung – ein Wert, der mit sinkenden Verdiensten kontinuierlich steigt.
Diese Ungerechtigkeiten bestätigt auch die Industrieländerorganisation OECD in einer eigenen Untersuchung. Demnach haben Geringverdiener in Deutschland einen höheren Anteil an Abgaben und Steuern zu schultern als in den meisten anderen Industrieländern – während bei Spitzenverdienern der Anteil wieder sinkt.
Dass die eigenen Ergebnisse dagegen so gut seien, habe auch ihn überrascht, sagt Hüther. Und obwohl es hier und da „noch Gerechtigkeitsdefizite“ gebe, sei es ihm beim Anblick der Ergebnisse „ganz warm ums Herz geworden“. GORDON REPINSKI