Schon gezahlt?

Weil die Musikindustrie mehr Geld für die Zweitverwertung ihrer Songs will, sind plötzlich tausende von Amateurradios im Internet gefährdet

VON PEER SCHADER

Wer morgens mal nicht mit den größten Hits von Robbie Williams und Madonna oder Schni-Schna-Schnappi aufstehen will, sondern mit denen der Marvellers aus Berlin, Automat aus Hannover oder Sandrakete aus Bochum, der muss erst einmal raus aus dem Bett und den PC anschmeißen. Den Berliner Radiosender Recordcaster, der die Songs der Indie-Bands spielt, gibt’s nämlich nur im Internet (www.recordcaster.de). Fragt sich bloß, wie lange noch.

Vor fünf Jahren haben Anatol Schirmer und Ulrich Moch ihr Webradio gestartet. Seitdem senden die beiden mit Unterstützung von zehn ehrenamtlichen Moderatoren allerlei Neues aus Rock, Pop, HipHop und Elektro. Bis zu 3.000 Nutzer hören täglich zu. Das könnte für Recordcaster bald zum Problem werden. Ab April will die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsrechten (GVL) von den Radiomachern mehr Geld. Künstler und Musikindustrie haben die GVL damit beauftragt, sich um ihre Zweitverwertungsrechte zu kümmern. Bisher war für Webradios eine Gebühr fällig, die sich daran orientierte, wie viele Hörer sich gleichzeitig ins Programm einklinken konnten. Kleine Sender zahlten rund 300 Euro im Jahr. Bald könnte der Spaß mehr als dreimal so viel kosten.

Der neue GVL-Tarif verlangt nämlich, dass jeder Titel und jeder Hörer einzeln abgerechnet werden. „Im schlimmsten Fall bedeutet das für uns: Power off“, befürchtet Recordcaster-Macher Anatol Schirmer. Mit seinen Sorgen ist der Berliner nicht allein. Viele der so genannten Webcaster wehren sich bereits in Internetforen und auf Protestseiten gegen den neuen Tarif, wahrscheinlich sind sogar mehrere tausend Kleinstsender betroffen. Tilo Gerlach, Geschäftsführer der GVL in Berlin, hat alle Hände voll zu tun, die Szene zu beruhigen: „Nach unserer Einschätzung deckt die angebotene Mindestvergütung das Gros der Nutzung im nichtkommerziellen Bereich.“ 500 Euro fordert die GVL als so genannte Mindestvergütung. Wer sein Radio „kommerziell“ betreibt, muss allerdings das Doppelte zahlen – als kommerziell werden dabei aber aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Sender eingestuft, die wie Recordcaster lediglich versuchen, kostendeckend zu arbeiten. Zudem sind 24-Stunden-Programme mit der Mindestvergütung nicht mehr möglich, weil jeder Titel einzeln bezahlt werden muss. Wer mehr sendet, muss auch mehr zahlen, argumentiert die GVL. Gerlach: „Ich will keinem den Spaß an seinem Hobby verderben, halte es aber für machbar, seine Sendezeit einzuschränken und dadurch die Kosten im Griff zu behalten.“

Die Webcaster wollen jedoch nicht zurückstecken. „Wir möchten einen fairen Tarif. Die Künstler sollen ihr Geld bekommen und wir wollen überleben“, sagt Frank Brach vom saarländischen RMNradio.de und verweist darauf, dass die Webcasts wichtige Foren für Newcomer sind: „Für Gruppen wie Silbermond hat sich vor einem Jahr noch kein UKW-Radio interessiert. Wir hatten die Band damals im Interview und als eine der Ersten ihre Musik gespielt.“ Damit könnte es bald vorbei sein, fürchtet Brach. Für zusätzlichen Ärger sorgen Vorschriften wie die, dass innerhalb von drei Stunden künftig nicht mehr als drei Titel eines Albums und vier Titel eines Künstlers gespielt werden dürfen. Die Musikindustrie hat Angst, dass die Nutzer sich so ganze Alben mitschneiden könnten. Zudem fordert die GVL Gebühren für Hörer aus dem Ausland. Wer den Aufschlag nicht zahlen will, muss verhindern, dass sein Radio außerhalb Deutschlands gehört werden kann. Die Webcaster fragen sich: Wie soll das funktionieren – im Internet?

„Wenn sich die Betreiber an all das halten, wird es ihnen unmöglich gemacht, ihr Hobby weiter zu betreiben“, resümiert Axel Seemann, Vorstand des Vereins Radioring, der die Interessen von fast 300 Webcasts vertritt. Anfang Februar treffen sich GVL und Webcaster zu Gesprächen, um vielleicht doch noch ein Abrechnungsmodell zu vereinbaren, das von beiden Seiten akzeptiert wird. „Wir hoffen, dass die Proteste Erfolg haben“, sagt Recordcast-Gründer Schirmer optimistisch. Einen Plan B haben er und sein Team nämlich bislang noch nicht.