Miese Stimmung in Clements Frisiersalon

Arbeitslosenzahlen steigen wegen Hartz IV auf über fünf Millionen. Negativer Rekord wird jetzt als „Ehrlichkeit“ verbrämt. Viele junge Mütter etwa sind erstmals in der Statistik. Doch wie ehrlich die Zahlen sind, ist immer auch eine Frage der Perspektive

von BARBARA DRIBBUSCH

Arbeitslosenzahlen waren schon immer ein Objekt politischer Frisierkunst. Bisher allerdings wurden die Zahlen nach unten geglättet, etwa indem man Ältere aus der Statistik aussonderte und die Teilnehmer an Trainingsmaßnahmen unberücksichtigt ließ. Doch morgen, wenn der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank Weise, die monatlichen Zahlen vorstellt, gibt es ein Novum: Die Hartz-IV-Reform treibt die Arbeitslosenzahlen in die Höhe – wahrscheinlich auf mehr als fünf Millionen.

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) versucht derzeit, den negativen PR-Effekt zu verringern, indem er die Flucht nach vorne antritt. „Die Zahlen werden deutlich höher ausfallen als alles, was wir bisher gehabt haben“, sagte Clement gestern. „Jetzt kommt die ganze Wahrheit über den deutschen Arbeitsmarkt ans Licht, die Zeit der Dunkelziffern ist vorbei.“

Ob die neuesten Zahlen aber tatsächlich mehr Ehrlichkeit in die Statistik bringen, ist umstritten. Die Rechnung ist simpel: Im Dezember waren rund 4,5 Millionen Menschen erwerbslos gemeldet. Normalerweise klettert die Zahl von Dezember bis Januar, saisonal bedingt, um rund 300.000 in die Höhe. Hinzu kommen diesmal noch die Effekte der Hartz-Gesetze. So müssen sich ab Januar alle Sozialhilfeempfänger, die mindestens drei Stunden täglich ackern können, arbeitslos melden, um Arbeitslosengeld II zu bekommen. Experten vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit erwarten dadurch ein statistisches Plus von rund 300.000 Erwerbslosen. Rechnet man alles zusammen, könnte die Zahl der Arbeitslosen im Januar die psychologisch wichtige Marke von fünf Millionen überschreiten.

Ob die neue Zahl ein Zeichen von mehr Ehrlichkeit ist, wird dabei zur Frage der Perspektive. So sind unter den neuen erwerbslos Gemeldeten auch Mütter von kleinen Kindern, die bislang Sozialhilfe bezogen und wegen der Betreuung des Nachwuchses gar keinen Job suchten. Viele dieser Mütter würden jedoch lohnarbeiten, wenn sie eine Stelle fänden und die Kinder gut untergebracht seien, gibt der Grünen-Sozialpolitiker Markus Kurth zu bedenken. Es sei deshalb richtig, dass auch diese Frauen künftig in der Statistik geführt werden.

IAB-Forscher hatten allerdings in der Vergangenheit wiederholt festgestellt, dass viele arbeitslos Gemeldeten in Deutschland in Wirklichkeit gar keinen Job mehr suchten, sondern beispielsweise mit Arbeitslosenhilfe nur die Zeit bis zur Rente überbrückten. Die deutsche Arbeitslosenstatistik sei deshalb überzeichnet, beklagen die Unternehmerverbände.

Die Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht ohnehin inzwischen parallel zu den offiziellen Zahlen für Deutschland eine zweite Statistik nach den Kriterien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Nach den ILO-Kriterien sind Leute schon dann nicht mehr arbeitslos, wenn sie wenigstens eine Stunde in der Woche arbeiten. Außerdem müssen sie sich in den vergangenen vier Wochen aktiv um einen Job bemüht haben.

Die ILO-Statistik wird aufgrund von Hochrechnungen aus Haushaltsbefragungen erhoben und nicht, wie die offizielle deutsche Statistik, aufgrund von Meldungen bei den Arbeitsagenturen. Die ILO-Zahlen für Deutschland liegen immer um einige hunderttausend unter der offiziellen Statistik. Dieser Unterschied dürfte mit Hartz nun noch größer ausfallen.