Hoch aus der Tiefebene

Zwei Jahre nach der Niedersachsen-Wahl: Oppositionsführer Sigmar Gabriel werden Berlin-Ambitionen nachgesagt, Ministerpräsident Wulff ist der beliebteste Unions-Politiker überhaupt

Von Kai Schöneberg

Die Zeit um Weihnachten, als die Umfragen signalisierten, dass er es nach nur drei Jahren als niedersächsischer Ministerpräsident nicht schaffen würde, war für Sigmar Gabriel die schlimmste. Am Wahlabend am 2. Februar selbst, als der Mann aus Goslar für das schlechteste Ergebnis der SPD bei Landtagswahlen seit 50 Jahren (33,4 Prozent) geradestehen musste, war er ruhig

„Da war ja schon alles gelaufen“, sagt Gabriel heute. Allerdings präsentiert sich die Partei aus dem Kanzler-Stammland auch am zweiten Jahrestag des Erdrutschsiegs als wenig erholt. Wenn die Gerüchte stimmen, will Dauer-Querschläger Gabriel sich die Mühen der Oppositionsebene nicht mehr lange antun und 2006 für den Bundestag kandidieren. Fast noch schlimmer: Garrelt Duin, SPD-Europaabgeordneter und Chef der Sozen im Bezirk Weser-Ems, will angeblich auch nach Berlin. Bislang galt der 36-Jährige als heimlicher Favorit für die Spitzenkandidatur bei der nächsten Landtagswahl im Jahr 2008.

Ministerpräsident Christian Wulff ist die Zeit in der niedersächsischen Tiefebene hingegen bislang ziemlich gut bekommen: Ein Jahrzehnt hatte der Osnabrücker vergeblich an der Macht der Sozen gekratzt. Zwei Jahre, nachdem seine CDU die absolute Mehrheit im Landtag nur um einen Sitz verfehlte, steht Wulff heute mehr als glänzend da: Laut einer Umfrage von Infratest-dimap für das ZDF-Politbarometer vom vergangenen Freitag schiebt sich der kühle Konservative auf Anhieb auf Platz 2 der Liste der beliebtesten Politiker in Deutschland, nur Joschka Fischer ist beliebter. Allerdings: nur gut die Hälfte aller Befragten traute sich, ein Urteil über den Niedersachsen abzugeben. Wenn es noch ein Manko beim Durchstarten gibt, ist das Wulffs Bekanntheitsgrad: Nur zwei Drittel aller Deutschen kennen ihn.

„Wenn Hannover und Wolfsburg in der Bundesliga oben stehen, ist es nur gut, wenn Niedersachsen auch in der Politik in der ersten Liga spielt“, kommentiert der 45-Jährige die Zahlen. Andere rüttelten offensiv am Bundeskanzleramt, Wulff blockt beim Thema K-Frage stets völlig ab und verweist auf die Chefin. Interessant ist, dass es im einzigen Zeitungsartikel zum Thema „Reserve-Kandidat“ im Pressearchiv auf Wulffs Homepage heißt: Er ist „jung genug, um warten zu können. Wird Merkel 2006 Kanzlerin, kann er in Niedersachsen bleiben und ihr den Rücken bei den Ländern freihalten. Scheitert sie, könnte er CDU-Vorsitzender werden und von Niedersachsen aus selbst 2010 einen Anlauf auf Berlin wagen.“

Endgültig wird ohnehin erst nach der NRW-Wahl entschieden. Natürlich sehen die Demoskopen beim Kanzlern den Rechtsanwalt Wulff derzeit klar vor Stoiber oder Koch – und nur knapp hinter der Parteivorsitzenden. Natürlich bekam der Mann mit dem Streber-Image auf dem Düsseldorfer Parteitag das beste Wahlergebnis aller vier Merkel-Stellvertreter.

Während der auch mal charismatische Gabriel für ständig neue Ideen und ihre Verwerfung steht, fehlt dem Aktenfresser Wulff die Aura des Wandels völlig. Natürlich hat der Konservative die Bezirksregierungen geschliffen, das Schulsystem auf CDU-Linie gebracht oder das Blindengeld gestrichen. Der Chef der Staatskanzlei steht in den Augen vieler dennoch für Beständigkeit wie Heimatgefühl, ja fast für eine Rückkehr zur heimeligen Kohl-CDU, nur um 30 Jahre verjüngt. Kohl war erst 52 Jahre alt, als er Kanzler wurde. Wulff wird 2010 genau ein Jahr jünger sein.