: Eine bierernste Angelegenheit
taz-Serie „Karneval in Berlin“ (Teil 1 und Schluss): Gestern verkündeten die Hohepriester des Berliner Karnevals, was den Hauptstädtern am Sonntag blühen wird. Die Jecken träumen von einem Rekord: eine Million Zuschauer beim Umzug
VON CLAUDIUS PRÖSSER
Die Vorfreude steigt: „Was mich am Karneval so fasziniert, ist dieses anarchische Gefühl, dass für ein paar Tage die Grenzen verschwimmen. Jeder geht in jede Kneipe, überall läuft Karnevalsmusik. Die Leute haben ein enorm gesteigertes Kommunikationsbedürfnis“, sagt Denise Pittermann*. Sie muss es wissen: Die gebürtige Kölnerin besucht jedes Jahr an den „tollen Tagen“ ihre Heimatstadt. In Berlin redet sie darüber nur im engeren Freundeskreis. „Dafür hat hier doch kaum einer Verständnis.“
Ganz richtig liegt Pittermann mit dieser Einschätzung offenbar nicht. Wenn die Organisatoren des Karnevalsumzugs am Sonntag Recht behalten, wird in diesem Jahr die Zuschauer-Grenze von einer Million durchbrochen. Seit dem ersten Zug vor fünf Jahren steigt die Narrendichte kontinuierlich, 2004 zählte man 750.000 Kamellenfänger. Während andere Großevents wie die Love Parade ihren Zenit schon überschritten haben, legt die organisierte Spaßgesellschaft der Hauptstadt also noch einen drauf – und rückt rein zahlenmäßig dem Branchenführer „Kölner Karneval“ auf die Pelle.
Harald Grunert, Vorsitzender des Vereins Karnevals-Zug Berlin, stellte gestern im Basislager der Kappenträger, der „Ständigen Vertretung“ (StäV), die Details vor. 23 Karnevalsvereine gibt es an der Spree, für den Zug von der Straße des 17. Juni zum Schlossplatz stellen die Gute-Laune-Brigaden dem Prinzenpaar eine Kampftruppe von 4.000 Jecken und 15 Musikzüge zur Seite. Auch berittene Einheiten werden erwartet: Als Abordnung vom großen Bruder am Rhein lässt das Reitercorps der Kölner Ehrengarde ein paar Pferdeäpfel Unter den Linden fallen. Besonderes Augenmerk sollte dem Wagen der „StäV“ mit der Nummer 11 gelten. Auf ihm fahren laut Grunert „zahlreiche Politiker aller Parteien“ mit. Bleibt zu hoffen, dass sich der Kamelle-Beschuss – 60 Tonnen sollen auf das Publikum hinabregnen – sich nicht gegen die Volksvertreter umkehrt – schließlich tragen sie Verantwortung dafür, dass es an den übrigen Tagen des Jahres wenig zu lachen gibt.
Überhaupt fehlt, glaubt man Experten wie Denise Pittermann, dem Preußenkarneval jegliche Ausgelassenheit. „Das läuft hier doch nur über so eine ‚Könn’wa ooch‘-Mentalität. Und am Ende wird geprahlt, wer die meisten Kamellen abgegriffen hat.“ Hei Jo („Heiterkeit und Jokus“) Frau Pittermann, spätestens Aschermittwoch ist bekanntlich alles vorbei.
* Name geändert