Sie gingen, ohne tschüs zu sagen

Am Wochenende sprang ein jugendliches Pärchen in den Tod. Boulevardpresse vermutet satanistischen Hintergrund. Freunde der Toten dementieren

Am Sonntagabend haben sich der 18-jährige Mateusz Z. und seine 19-jährige Freundin Alexandra D. das Leben genommen. Das Paar sprang aus einem Treppenhausfenster im achten Stock eines Gebäudes in Spandau in den Tod. Kurz zuvor, um 19.50 Uhr, hatte die aus Baden-Württemberg stammende Alexandra ihren Eltern daheim eine SMS mit der Ankündigung geschickt, sich jetzt umzubringen. Die Leichen der beiden wurden von einem Passanten um 20.20 Uhr auf dem Bürgersteig vor dem Hochhaus entdeckt.

Mateusz Z., Matti genannt, besuchte das Goethe-Gymnasium in Wilmersdorf. Die Nachricht von seinem Tod haben seine Freunde am Montag aus einer Boulevardzeitung erfahren: „Das Drama von zwei Teenagern mit der falschen Sehnsucht – Junger Dichter lockte Freundin in den Tod“, titelte die Yellowpress und reichte dazu ein Foto von den mit weißen Tüchern abgedeckten, vor der Hauswand liegenden Leichen nebst eingezeichneter Falllinie mit.

Eine Mischung aus Selbstvorwürfen, die Suizidabsichten des Freundes nicht erkannt zu haben, gepaart mit Trauer und Wut über den respektlosen Umgang der Gazetten mit dem Toten und dessen Familie trieb zwei enge Freunde von Matti gestern zur taz. „Er war kein Satanist“, weisen der 19-jährige Gerrit A. und der 17-jährige Vincent H., beide überzeugte Punks, entsprechende Presseberichte zurück. Zwar habe Matti Gedichte geschrieben, die vom Leben handelten, das er nicht mehr begehre, aber es gebe auch andere, zum Bespiel die über Liebesgefühle. Er sei ein lebensfroher Typ gewesen, ein Optimist und fürsorglicher Freund. Er sei immer da gewesen, wenn man ihn brauchte. „Dass er sich umgebracht hat, passt überhaupt nicht zu ihm“, sagen Gerrit und Vincent.

Immer wieder gehen die beiden ihre letzte Begegnung mit Matti durch – am vergangenen Freitag in der „Potse“, einem Punkertreffpunkt in der Potsdamer Straße. Fünf, sechs Stunden waren Vincent, Gerrit und dessen Bruder Malte dort mit Matti und Alexandra zusammen. Es war die erste der beiden Begegnungen mit dem Mädchen, das Matti in den Sommerferien bei Stuttgart kennen gelernt hatte. Sie hatte den noch bei seinen Eltern lebenden Freund nun in den Winterferien in Berlin besucht.

Von ihrem Outfit her – schwarze Klamotten, die Seiten des Kopfes rasiert, in der Mittelpartie lange schwarze Haare, geschorene Augenbrauen – passte Alexandra in das Bild der Satanisten. Aber sie machte einen sehr netten Eindruck. „Matti war total locker, wie immer. Wir haben Witze gemacht und gelacht. Es gab nicht die leiseste Andeutung.“ Irgendwann jedoch sei er mit Alexandra gegangen, ohne tschüs zu sagen. So was kann vorkommen, wenn der Laden voll ist und man vielleicht gerade in ein Gespräch vertieft oder am Kickern sind.

Später haben Gerrit und Vincent aus der Presse erfahren, dass Alexandra unter Depressionen litt und in therapeutischer Behandlung war. Ihre Eltern sollen froh über die neue Liebe zu Mateusz gewesen sein, weil sie plötzlich wieder Freude am Leben hatte. Als der Vater die SMS erhalten hatte, rief er sofort beim Lagedienst der Berliner Polizei an und verständigte auch Mattis Mutter. Aber für eine Fahndungsaktion war es schon zu spät. Die Handys waren ausgeschaltet.

2003 haben sich in Berlin 43 junge Leute unter 25 Jahren das Leben genommen, darunter 31 männliche. Jungen sind bei der Umsetzung eines Suzidvorhabens radikaler als Mädchen. Die absolute Mehrzahl der jungen Menschen geht allein in den Freitod. „Wenn sich zwei Menschen zum Suizid verabreden, ist höchste Alarmstufe angesagt, weil es für den Einzelnen schwieriger ist, davon zurückzutreten“, sagt Gerd Storchmann, Sozialpädagoge bei Neuhland, einer Beratungsstelle für suizidgefährdete Kinder und Jugendliche. In der Regel, so Storchmann, gebe es Hinweise, wenn sich jemand mit Suizidgedanken trägt. Das heiße aber nicht, dass sie jederzeit zu erkennen sind. Eine Erklärung für Mateusz’ gute Laune bei dem Treffen mit den Freunden in der Potse wäre, dass seine Überlegungen zu dem Zeitpunkt schon abgeschlossen gewesen sind. „Die Last war von ihm gefallen.“

PLUTONIA PLARRE

Infos: www.neuhland.de. Tel.: (030) 8 73 01 11