Was wissen wir im Einzelfall?

RESTITUTION Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat nach ihren Recherchen entschieden, den Welfenschatz nicht an die Erben der jüdischen Vorbesitzer zurückzugeben

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat sich in den letzten Jahren überaus konsequent für die Umsetzung der Washingtoner Erklärung eingesetzt

VON BRIGITTE WERNEBURG

Als sie 1929 den Welfenschatz erwarben, glaubten die vier in einem Konsortium zusammengeschlossenen jüdischen Händler zu Recht, ihre beachtliche Investition von 8 Millionen Reichsmark würde sich mehr als lohnend auszahlen. Doch zunächst konnten sie nur einen Teil des mittelalterlichen Kirchenschatzes in den USA verkaufen, für etwas über zwei Millionen US-Dollar.

Den größeren Teil erwarb erst 1935 der Preußische Staat – für 4,25 Millionen, statt der erwarteten 7 Million Mark. Der Grund, so sagt die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), in deren Besitz sich der Kirchenschatz heute befindet, liegt in der Weltwirtschaftskrise, die sowohl den Kreis der möglichen Kaufinteressenten wie auch das Preisniveau selbst dramatisch schrumpfen ließ.

Sollte das ein vorgeschobener Grund für das damalige Verlustgeschäft gewesen sein, wie der Anwalt sagt, der die Erben der Kunsthändler in ihrem Restitutionsbegehren vertritt, so will es nun die Ironie der Geschichte, dass er jetzt wahr wird.

Sollte der 2008 gestellte Restitutionsantrag Erfolg haben und die Erben den Kirchenschatz nicht behalten wollen, was wahrscheinlich ist, dann bleiben nur wenige mögliche Käufer. Denn die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise hat den erwartbaren Kaufinteressenten, wie etwa dem Getty Museum in Los Angeles, enorm zugesetzt. In diesem Fall würde der deutsche Staat wohl erneut als einziger ernst zu nehmender Käufer übrig bleiben.

Haben die Händler im Falle des Welfenschatzes entsprechend der Washingtoner Erklärung von 1998 einen „verfolgungsbedingten Vermögensverlust“ erlitten? Die SPK meint nein, obwohl die einzelnen Konsorten zweifellos „rassisch verfolgt waren und deshalb erhebliche Vermögensverluste erfuhren“.

Nach ihren Recherchen hat sich der preußische Staat vertragstreu verhalten, es sei „kein unzulässiger Druck zur Erzwingung eines für Preußen günstigen Verhandlungsergebnisses ausgeübt worden. Zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen befand sich der Welfenschatz außerhalb Deutschlands und unterlag damit nicht dem Zugriff deutscher Stellen.“

Die Handreichung von 2001 für Restitutionsfragen folgt den alliierten Rückerstattungsgrundsätzen nach dem Zweiten Weltkrieg. Hier nun kann ein solcher Vermögensverlust für einen im sicheren Ausland sich befindlichen Kollektivverfolgten – wie der jüdische Zwangsemigrant im Juristendeutsch heißt – nur dann eintreten, wenn der Verkauf im nationalsozialistischen Deutschland erfolgte. Der Verkauf des Welfenschatzes aber erfolgte im sicheren Ausland.

Problematisch ist allerdings, dass der Kaufpreis nicht ins Ausland überwiesen wurde, sondern auf ein Konto der Dresdener Bank. Ob allein dieser Umstand den gesamten Geschäftsvorgang als verfolgungsbedingten Vermögensverlust erscheinen lässt, sei die entscheidende – noch gar nicht diskutierte – Rechtsfrage, meint dazu der in Restitutionsfragen äußerst versierte Berliner Rechtsanwalt Gunnar Schnabel.

Er stellt damit eine für die Auffassung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz durchaus brisante Frage, wobei er sich Welten entfernt von der plumpen Polemik des Erbenanwalts Markus Stöltzel bewegt.

Dieser nämlich sieht in der Einladung der Stiftung, den Ergebnissen ihrer Recherche mit weiteren Unterlagen zu widersprechen, bloß eine „zynische Umkehrung der Beweislast“ und eine „Schlussstrichmentalität“.

Nun hat sich die SPK in den letzten Jahren überaus konsequent für die Umsetzung der Washingtoner Erklärung eingesetzt und dabei 22 von 29 Rückgabeersuchen entsprochen. Auch jetzt hat sie ihre Rechtsposition in einer zwölfseitigen Presseerklärung so transparent wie nur möglich gemacht.

Es liegt in der Natur der Sache, dass sie in ihren Recherchen den Einzelfall zu präzisieren sucht, und das ist auch ganz im Sinne der Washingtoner Erklärung, wenn es um das Ziel einer „fairen und gerechten Lösung“ geht.

Anders als Markus Stöltzel, der meint, die Annahme, „seitens der Nazis sei kein Druck ausgeübt worden“, widerspräche per se „jeder Vernunft und Logik“, nachdem, „was wir über das jüdische Leben und Überleben im NS-Staat wissen“.