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Archiv-Artikel

Mehr Arbeitslose durch Hartz IV

Zahl der in Hamburg registrierten Menschen ohne Job klettert Richtung der 100.000-Marke. Grund für sprunghaften Anstieg ist neue Zählweise, die Teil der Sozialhilfeempfänger erfasst. Gewerkschaften warnen, Dunkelziffer sei nicht voll aufgedeckt

Von Eva Weikert

Rolf Steil hält den Ball flach: Als der Chef der Hamburger Arbeitsagentur gestern über die Entwicklung des Arbeitsmarktes berichtete, dementierte er vorauseilende Presseberichte über Horrorzahlen von mehr als 100.000 Arbeitslosen im Januar. „Aus meiner Sicht liegt deren Zahl bei 90.000“, konstatierte Steil. Das sind immer noch 8.503 oder 10,4 Prozent mehr registrierte Menschen ohne Job als im Dezember. Die Arbeitslosenquote kletterte von 9,4 auf 10,3 Prozent. Gemessen am übrigen Westen der Republik mit 9,9 Prozent Arbeitslosigkeit steht die Hansestadt damit schlechter da. Grund für den spunghaften Anstieg ist das Anfang des Jahres in Kraft getretene Arbeitsmarktgesetz Hartz IV.

Steil musste gestern eine sperrige Statistik vorstellen, die Hartz IV zu verdanken ist. Die seit dem 1. Januar geltende Regelung wirft Langzeitarbeitslose und als erwerbsfähig geltende Sozialhilfebezieher in einen Topf. Deren Bezüge wurden zum Arbeitslosengeld II (ALG II) zusammengelegt. Wegen der „Übergangssituation“ würden endgültige Zahlen erst im März vorliegen, kündigte Steil an. Von den rund 8.500 neuen Arbeitslosen in Hamburg kämen höchstens 3.000 aus einem Job. Die Übrigen seien ehemalige Sozialhilfeempfänger, die mit Hartz IV als arbeitslos erfasst wurden. „Vom Markt her erwarte ich für die Zukunft weniger Entlassungen“, meinte der Agenturchef. Die Zahl der Arbeitslosen könne aber bis März auf 120.000 hochschießen durch den Zuwachs erwerbsfähiger Sozialhilfeempfänger.

„Die neuen Arbeitslosenzahlen vermitteln ein realistisches Bild von der Situation auf dem Arbeitsmarkt“, kommentierte Steils Kollege von der Regionaldirektion Nord, Jürgen Goecke, die neue Zählweise. Hamburgs DGB-Chef Erhard Pumm ist die Statistik indes nicht genau genug: „Selbst wenn jetzt die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger zu den übrigen Arbeitslosen hinzugerechnet werden, bildet diese Summe nicht das ganze Ausmaß der Arbeitslosigkeit ab“, kritisierte er. „Die Dunkelziffer ist noch immer nicht voll aufgedeckt.“ So fehlen in der Statistik allein 2.600 Ein-Euro-Jobber und rund 2.000 Menschen in Qualifizierungsmaßnahmen.

Am höchsten ist die Arbeitslosigkeit derzeit in Mitte mit 14,7 Prozent, am niedrigsten in Eimsbüttel mit 8,5 Prozent. Arbeiter, über 50-Jährige und Migranten sind am häufigsten betroffen.

Nach der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe bieten die Grafiken der Arbeitsagentur auf den ersten Blick ein erschreckendes Bild: Insgesamt weisen sie 155.522 ALG-II-Empfänger für Hamburg aus. Agenturchef Steil beeilte sich gestern, die Zahl zu relativieren: „Die sind nicht alle arbeitslos. Darunter sind knapp 42.000 Familienangehörige, die nicht arbeiten können.“ Die Bedarfsgemeinschaften abgezogen, bleiben aber immer noch etwa 113.000 erwerbsfähige Hilfebedürftige plus jene Arbeitslose, die erst kurz ohne Job sind und in der ALG-II-Statistik gar nicht auftauchen. „Im Antragsverfahren haben wir erst mal nach Aktenlage bewilligt und zahlen nun ALG-II auch an Leute, die nicht marktfähig sind“, erklärte Steil, warum die Agentur trotzdem von 90.000 Arbeitslosen spricht. So seien in der Eile etwa auch Menschen aus den Behindertenwerkstätten in die Rubrik „Erwerbsfähiger ALG-II-Bezieher“ gerutscht. Viele der Stützeempfänger müssten jetzt eingeladen und auf Erwerbsfähigkeit überprüft werden.

Für solches Profiling ist die neue Arbeitsgemeinschaft (Arge) zuständig. Steil räumte gestern ein, dass es „Anfang Januar in vielen der 25 Filialen nicht einmal Telefonanschlüsse gegeben hat. Viele Betroffene konnten keinen Ansprechpartner finden.“ Dieses Problem sei jetzt aber „abgestellt“, so der Direktor. Wer seine zuständige Arge-Dienststelle suche, könne sich im Hauptsitz am Wiesendamm erkundigen unter ☎ 60 09 81 00.