: Der Künstler ist kein Einzelkämpfer
Im Zeichen Theo van Goghs: Beim Internationalen Filmfestival Rotterdam wird über Zensur und die Verantwortung des Filmemachers diskutiert
Theo van Goghs umstrittener Kurzfilm „Submission“ wird „aufgrund der derzeitigen Lage“ nicht gezeigt, erklärt Sandra den Hamer, die neue Leiterin des Internationalen Filmfestivals Rotterdam. Der Prozess gegen Theo van Goghs Mörder Mohammed B. habe gerade begonnen, und Ayaan Hirsi Ali, die Parlamentsabgeordnete und Autorin des Drehbuchs, sei eben erst aus ihrem Versteck zurückgekehrt. Gijs van de Westelaken, der Produzent des Films, möchte „Submission“ unter diesen Umständen dem Festival nicht zur Verfügung stellen, auch wenn ihm diese Entscheidung Leid tut.
Ob diese Haltung Selbstzensur oder vernünftige Zurückhaltung bedeutet, ist eine der wiederkehrenden Fragen des noch bis Sonntag dauernden Rotterdamer Festivals. Die täglich erscheinende Zeitung Filmkrant regte eine über van Gogh hinausweisende Artikelserie zum Thema Zensur an. Filmschaffende und Journalisten aus Tunesien, Argentinien oder den USA meldeten sich zu Wort; der Essayfilmer Jem Cohen etwa klagte, dass ihm das Bahnpersonal während einer Reise von New York nach Washington untersagte, aus dem Zugfenster heraus zu filmen. Das schon gedrehte Material wurde mit dem Verweis auf die Wahrung der nationalen Sicherheit beschlagnahmt. „In New York und in vielen anderen US-amerikanischen Städten“, schloss Cohen, „wird schon jetzt hart dagegen vorgegangen, dass öffentliche Bauwerke wie Brücken gefilmt werden.“ Für Essayfilmer, die sich mit Architektur und der Beschaffenheit der Stadt befassen, ist das ein harter Schlag.
Eine Diskussionsveranstaltung widmete sich dem Thema unter dem Titel „Courage and Conviction: Film-making in an Age of Turbulence“. Verhandelt werden sollte, wie Filmemacher mit Zensur umgehen, wie sie sich verhalten, wenn sie ihrer Arbeiten wegen bedroht werden, wie sie reagieren, wenn Minderheiten andere Empfindlichkeiten haben als die Mehrheitsgesellschaft, und welche Verantwortung ihnen vor diesem Hintergrund zukommt. Dabei stand zunächst jener heroische Künstlertypus im Vordergrund, der allen Gefahren zum Trotz das Verbotene ausspricht und am Tabu rührt. Der junge russische Regisseur Ilya Khrzhanovsky, dessen Film „4“ im Wettbewerbsprogramm läuft, berichtete von den Schwierigkeiten, einen Verleih für sein düsteres, defätistisches Werk zu finden. Khrzhanovsky wurde von den russischen Behörden aufgefordert, anstößige Szenen herauszuschneiden, ließ sich darauf aber nicht ein – und gefiel sich in Rotterdam sichtlich in der Rolle des Enfant terrible, für die ihm denn auch ein Preis verliehen wurde: Am Sonntagabend durfte Khrzhanovsky den Goldenen Kaktus entgegennehmen, eine Auszeichnung für „maverick film makers“, die in diesem Jahr zum ersten Mal und im Angedenken an Theo van Gogh verliehen wurde.
Zwei weitere Regisseure, Garin Nugroho aus Indonesien und Goran Paskaljevic aus Serbien, schilderten die Anstrengungen, die sie der staatlichen Zensur wegen auf sich nahmen und nehmen. Aber sie berichteten auch von deren Widersprüchlichkeiten. Paskaljevic etwa beschrieb die „ökonomische Zensur“, die er während seiner Jahre in Hollywood erlebte, als perfider denn die Zensur, die er aus Jugoslawien kannte. Zumal ein Verbot das Publikumsinteresse in der Regel befeuere.
Doch lässt sich heute überhaupt noch das Konzept von Avantgarde-Kunst aufrechterhalten, das dem Künstler die Rolle des Aufklärers zuspricht? Es war Peter Sellars, der Opern- und Theaterregisseur, der hier entschieden widersprach: Die Position desjenigen, der alle anderen vor den Kopf stößt, sei überkommen. Statt sich als Tabubrecher und Einzelkämpfer zu gebärden, solle sich der Künstler heute darum kümmern, „Räume zu öffnen“ – Räume, in denen unterschiedliche Gruppen mit ihren je unterschiedlichen Empfindlichkeiten und Idiosynkrasien ins Gespräch kommen können. Der Künstler, so Sellars, muss einsehen, dass er in den heterogenen Gesellschaften unserer Tage nicht weiser oder befugter als andere sei, und er müsse sich daher auf Dialoge einlassen. Das alles trug Sellars leider mit pastoralem Sendungsbewusstsein vor, und überdies versäumte er, konkreter zu werden: Wie soll denn so ein „offener Raum des Zuhörens“ aussehen? Darf die Beleidigung darin vorkommen? Im Zusammenhang mit „Submission“ wächst dieser Frage besondere Relevanz zu. Denn die Autorin Ayaan Hirsi Ali macht geltend, dass es ihr gerade nicht um die Verweigerung, sondern um die Förderung von Dialog gehe – wenn auch nicht mit den Mitteln des Räsonnements, sondern mit denen der Blasphemie.
CRISTINA NORD