Faustkampf gegen Gebühren

„Bildung und Demokratie sind Grundrechte“: 1.000 Studierende demonstrieren in Essen friedlich gegen Studiengebühren. Doch kurz vor Schluss kommt es zum Gerangel mit der Polizei

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Gestern haben die Studierenden ihren „Kampf“ gegen Studiengebühren wörtlich genommen: Kurz bevor der Demonstrationszug zurück an der Essener Universität war, kam es zum Gerangel mit der Polizei. Immer wieder rauschten neue Streifenwagen an, stiegen Polizisten in Kampfmontur aus den Autos. Der Grund: Die Polizei hatte einige Ordner zur Kontrolle festgesetzt. Woraufhin die restlichen Demonstranten kurzerhand die Polizisten umzingelten und die Freilassung ihrer Mitstreiter forderten – ohne Erfolg.

Bis zu diesem Zeitpunkt war die Demonstration recht friedlich verlaufen. Rund 1.000 Studierende brachen bereits am Vormittag vom Campus der Uni Essen in Richtung Innenstadt auf, um mal mehr, mal weniger lautstark gegen „Sozialabbau“ zu demonstrieren. Ihr Motto: „Bildung und Demokratie sind Grundrechte“. Und die werden in den Augen der Studierenden derzeit erheblich verletzt. Ein besonders spitzer Dorn ist vor allem die Überlegung einiger Bundesländer, Studiengebühren einzuführen. Bislang ist das in Nordrhein-Westfalen zwar kein Thema: Bildungsministerin Hannelore Kraft hat versichert, NRW werde gebührenfrei bleiben. Glauben wollen die Hochschüler das aber nicht. Im Wahlkampf hätten sie schon so manches Versprechen gehört, wettern sie.

„Bald sind Landtagswahlen und die Politiker werden sich hüten, vorher Studiengebühren zu erlassen“, sagt ein Studierender, der auf seinem Transparent eine „demokratische Hochschule“ fordert. Alexander Fittkau, Studierender an der Bochumer Ruhr-Universität ahnt: „Nach den Wahlen wird auch die SPD Studiengebühren zu ihrem Thema machen.“ Auch von dem Modell, erst nach dem Studium zahlen zu müssen, hält Fittkau nichts: „Ich finde es sehr abschreckend, nach dem Studium mit einem Haufen Schulden dazustehen.“

Das größte Problem der Nachwuchs-Akademiker ist aber, dass sie augenscheinlich keine Partei mehr auf ihrer Seite haben. Die Studierenden fühlen sich im Stich gelassen. Glauben schenken sie niemandem mehr: Der CDU nicht, und auch jenen Parteien nicht, die einst für freie Bildung plädierten. Am Wochenende wollen sie sich deshalb bundesweit neu organisieren – und nicht nur untereinander: „Wir müssen alle Bevölkerungs-Schichten einbeziehen“, sagt Marcel Winter vom Allgemeinen Studierenden-Ausschuss (AStA) der Uni Duisburg-Essen. Damit auch Nicht-Studierende am selben Strang ziehen, richten sich die Proteste der Hochschüler mittlerweile nicht mehr nur gegen Studiengebühren: Sie haben sich auf ihre Fahnen geschrieben, für eine gerechte Bildungspolitik im Allgemeinen zu kämpfen – und zwar bereits im Kindergarten beginnend.

Winter findet, zu diesem Zweck müsse wieder eine „außerparlamentarische Opposition“ gebildet werden. Der Startschuss dazu solle beim Vernetzungstreffen am Wochenende fallen. Auf die Worte der Ministerin gibt er auch nichts mehr: „Vor kurzem erst hat sie gesagt, sie sei nicht aus sozialpolitischen Gründen gegen Studiengebühren, sondern aus ökonomischen“, sagt Winter, für den diese Äußerung ein deutliches Signal ist, dass NRW nicht ewig gebührenfrei sein wird. In anderen Bundesländern müssen Studierende teilweise schon ab dem Sommersemester für ihre Ausbildung zahlen. Deshalb spannten sich gestern nicht nur in Essen die Transparente: Auch in Leipzig, Hamburg, Mannheim und Berlin gingen die Hochschüler auf die Straße. Was ihnen vielleicht bald blüht, und wovor es den hiesigen Studierenden schon graut, bringt einer von ihnen schon vor der Demo zum Ausdruck: „Seht mal“, sagt der junge Mann im zerschlissenen Parka und deutet auf das Schild „Arbeitsamt“: „Da können wir uns dann bald melden, wenn sie die Studiengebühren doch eingeführt haben.“ Dann lacht er. Seine Freunde schweigen.