: Volksvertreter: Nicht gerade ein Trendgetränk
Ein Otto-Normal-Parlamentarier ist zehn Jahre älter als ein Durchschnittsdeutscher. Die Parteien haben ihre Überalterung erkannt – und mühen sich um junge Abgeordnete
Manchmal betätigen sich Ex-Ministerpräsidenten auch als Talentscouts. Ob er nicht Interesse an einem Treffen mit dem SPD-Fraktionschef hätte, fragte vor zwei Jahren das Büro von Sigmar Gabriel bei Markus Scholz an. Da hatte der Mann vom AStA der Fachhochschule Hildesheim gerade mit einer fulminanten Rede vor 20.000 protestierenden Studenten in Hannover Eindruck bei anwesenden SPD-Granden geschunden. Doch Scholz lehnte es ab, mit der SPD auf Dauer zusammenzuarbeiten: „Gegen Koalitionen auf Zeit hat der AStA nichts“, sagt der 26-Jährige, der mittlerweile im siebten Semester Betriebswirtschaftslehre studiert, heute. „Aber als Studentenvertreter bin ich viel freier, wenn ich nicht auf Programme und den ganzen Parteiklüngel Rücksicht nehmen muss.“
Rentnerberge, demografische Zeitbombe – während die Debatte durch den schirrmacherischen „Methusalem-Komplott“ im vergangenen Jahr genau in die entgegengesetzte Richtung schwappte, gilt für die Politik nach wie vor: Die Parteien sind deutlich überaltert. Politik gilt unter Jüngeren nicht gerade als Trendgetränk, wenn nicht gar als unsexy. Während der Durchschnittsdeutsche um die 40 Jahre alt ist, ist ein Otto-Normal-Parlamentarier etwa zehn Jahre älter.
Allerdings haben sich die Vorzeichen verändert: Während es vor Jahrzehnten noch als normal galt, dass der deutsche Abgeordnete sogar ehrwürdige 60 bis 70 Lenze zählte, steuern die Parteien derzeit verzweifelt nach: Die Basis bricht ihnen weg – und damit jede Menge Geld und Einflussmöglichkeiten in der Gesellschaft. Nicht nur, dass die alte Tante SPD im vergangenen Jahr um 45.000 auf nur noch 605.000 Genossen schrumpfte. Die Quote der Unter-35-Jährigen mit SPD-Parteibuch liegt derzeit bei sagenhaften acht Prozent. „Erfolgreicher“ agieren Union und FDP: Die CDU verlor im vergangenen Jahr in Deutschland 12.700 Abgänge, die Liberalen verloren „nur“ 900 Mitglieder. Die Zahl der Grünen-Mitglieder blieb etwa konstant.
Beim Blick in die Landesparlamente zeigt sich ein analoges Bild: Obwohl derzeit erstmals gleich drei Studenten im niedersächsischen Landtag sitzen und obwohl die Fraktionschefs von CDU und FDP erst gut 30 Jahre alt sind, liegt das Durchschnittsalter aller Abgeordneten derzeit bei genau 50 Jahren. 1994 waren es noch 48 Jahre. Selbst die Niedersachsen-Grünen – mit den Jahren deutlich ergraut – sind immer noch relativ überaltert. Im Schnitt sind die Dauerjugendlichen derzeit um die 46, vor zehn Jahren waren sie noch um die 40.
Relativ jung ist mit einem Durchschnittsalter von taufrischen 45,8 Jahren das Parlament in Bremen: Der jüngste Bürgerschaftsabgeordnete heißt Jens Crueger, kommt von den Grünen und ist immerhin erst 20 Jahre alt.
Die meisten Senioren – und die größten Probleme – hat fast durch die Bank die SPD: In der Hamburger Bürgerschaft sitzt nur ein Sozialdemokrat unter 30 Jahren, das Durchschnittalter der niedersächsischen SPD-Abgeordneten liegt zur Zeit gar bei 53.
Weil die schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten das Problem schon vor längerer Zeit erkannt hatten, führten sie 1996 per Parteitagsbeschluss eine Jugendquote ein, nach der zehn Prozent der Abgeordenten auf der Landesliste unter 35 Jahren sein sollten. Vergeblich: In der jetzigen SPD-Fraktion sind Sandra Redmann und Birgit Herdejürgen mit jeweils 39 Jahren die Küken. Das dürfte sich auch bei der Wahl am 20.Februar kaum ändern: Nur ein Youngster schaffte es auf einen aussichtsreichen Listenplatz: Regina Poersch, Jahrgang 1969. Insgesamt liegt das Durchschnittsalter aller Abgeordneten im Kieler Landtag derzeit bei methusalemschen 53,9 Jahren.ksc/wie