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Archiv-Artikel

Schlaffes Inselgeplänkel

Wie man Enda Walshs „Disco Pigs“ den Sozial-Spleen austreibt? Einfach ein naiv-unpolitisches Liebespaar zeigen, wie Frank Abt es derzeit am Thalia in der Gaußstraße praktiziert

von Caroline Mansfeld

Manche Dinge sind nicht wiederholbar. Doch auch eine Sache in ihr Gegenteil zu verkehren, nur um eine Doublette zu vermeiden, kann ein Irrweg sein. 1998 setzte Thomas Ostermeier in der Berliner Baracke mit der deutschen Erstaufführung von Enda Walshs Disco Pigs hohe Maßstäbe. Marc Hosemann und Bibiana Beglau brachten als Freundschaftsduo Schwein und „Mücker“ in einem leeren weißen Raum alle imaginierten Bauten zum Einsturz. Mit aggressivem Stimm- und Spieleinsatz verkörperten sie zwei verlorene Seelen auf ihrem selbst geschaffenen Planeten inmitten einer kaputten Welt.

In der Inszenierung des jungen Regisseurs Frank Abt, die jetzt am Thalia in der Gaußstraße Premiere hatte, ist von der Naivität des Krawallpärchens wenig zu spüren. Bei ihm ist die Welt da draußen allenfalls dunkel und kalt. Wirklich feindlich ist sie nicht.

Mitten auf der Zuschauertribüne hat Bühnenbildnerin Christina Mrosek die heile Welt von Pig (Andreas Döhler) errichtet. Eine kleine Kammer mit Stereoanlage und Retrolampe bildet das Königreich des gerade 17-Jährigen. Hier nimmt er seiner am selben Tag geborenen Freundin Runt (Claudia Renner) zum Geburtstag ein Hörspiel auf. Ein netter, sensibler Einstieg, der aber gleich zeigt, dass hier kein britisches Sozialdrama inszeniert wurde. Julia Borchert hat vielmehr schlonzige Retro-Klamotten entworfen. Für Pig sind sie heilig, denn sie kommen von Runt: „Du und ich, wir sind Bruder und Schwester und auch viel mehr. Wir sind alles.“

Das klingt nach Teenie-Charme und kaum nach jener Sozialmisere, in der der irische Dramatiker Walsh sein Stück verortet hatte. Vielleicht ist diese Inszenierung Abts Versuch, das Stück von jeglicher Diskussion um Gewaltästhetik zu befreien. Und einfach zwei junge Menschen zu zeigen, die sich den ganzen Tag fragen, welche Farbe die Liebe hat. Leider beraubt er das Stück damit aber seiner Aussage: Ohne das Überdrehte, Aggressive, Bedrohliche ist auch ein Enda Walsh nur noch niedlich. Und so manche Länge können auch die Darsteller nicht retten. Zumal sie mittendrin die minutenlang eingespielten Songtitel von Lamb oder Blur einfach abwarten müssen. Döhler zeigt seinen Pig als liebevollen Softie, der für seine Runt auf dem Keyboard zarte Sade-Songs anstimmt, aber auch starke Momente findet, wenn er sich buchstäblich in Rage redet während er den Sex mit Runt beschreibt.

Claudia Renners Runt bleibt dagegen unerwartet blass. Zwar tobt sie munter über die Tribüne und lächelt die ganze Zeit selig vor sich hin. Vom Drama der Jugend jedoch keine Spur. Kein Schimmer von der Sehnsucht, leben zu wollen und nicht zu wissen, wie man damit anfängt. Das Drama ist selbst dann fern, als die beiden abends in eine Diskothek wollen, wo sie eigentlich nicht erwünscht sind. Und der Spaß ein promptes Ende nimmt, als Pig einen angeblichen Nebenbuhler erschlägt und Runt in eine unbekannte Zukunft aufbricht.

Nein, diese hier sind keine „Natural Born Killers“, keine wildromantischen Gauner Bonnie und Clyde. Es sind einfach zwei verunsicherte Teenies, die Spaß haben wollen. Die einen glitzernden Vorhang aufziehen, der für sie die Bühne des Lebens markiert. Ob sie wirklich entdecken, dass es außerhalb ihrer sicheren Insel der Zweisamkeit noch etwas anderes gibt, lässt sich am Ende nur erahnen.

Nächste Vorstellungen: 6., 14.+15.2., 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße