: Angst um jede zweite Schule
Senat gibt in Fragestunde bekannt: Nicht 50, sondern 106 Grundschulen verfehlen die neuen Mindestkriterien und sind darum von Schließung bedroht. Bildungsbehörde räumt Rechenfehler bei Standortanalyse in Barmbek und den Walddörfern ein
Von Kaija Kutter
Die meisten Abgeordneten fanden es nur langweilig, als Sozialbehörden-Staatsrat Klaus Meister am Donnerstag in der Bürgerschaft eine lange Liste vorlas. Die SPD-Abgeordnete Luisa Fiedler nutzte die aktuelle Stunde, um vom Senat direkt zu erfragen, welche der 230 Grundschulen die neue Mindestzügigkeit verfehlen. Die von Staatsrat Meister vorgelesene Liste endete erst nach 106 Namen, woraufhin CDU-Abgeordnete dem Vortragenden applaudierten, wohl nicht wissend, was sie da taten.
„Die Menge der Schulen, die durch die neuen Schulstrukturpläne des Senats in Frage gestellt werden, ist schlicht brutal“, erklärt nun Fiedler, die erst vor einer Woche durch eine kleine Anfrage erfahren hatte, dass es in 50 von 58 neu gebildeten Anmeldeverbünden „mindestens eine“ Grundschule gibt, welche die neuerdings geforderten 54 Schüler pro Jahrgang nicht hat. Nun hat sich diese Horrorzahl verdoppelt. Hinter dem „mindestens“ verbarg sich eine brisante Botschaft: In jedem der genannten Verbünde sind nicht eine, sondern mehrere Schulen bedroht. „Es werden nicht alle 106 Schulen geschlossen“, räumt Fiedler ein. Es werde aber eine „viel größere Dimension“ des Problems deutlich, dass Schulen künftig um Schüler kämpfen müssen. Fiedler: „Mit den neuen Anmeldeverbünden institutionalisiert die Schulsenatorin Existenzangst geradezu als Lernziel.“
Zwar betont Bildungsbehördensprecher Alexander Luckow, dass das Schulgesetz die Möglichkeit vorsehe, aus regionalen Gründen Ausnahmen von der Mindestgröße zu machen. Doch davon, so Fiedler, sollten sich Eltern nicht beruhigen lassen. „Schließlich hat der Senat das Schulgesetz nicht geändert, um Ausnahmen zu machen, sondern um die Grundlage für weitere Schulschließungen zu schaffen.“
Unterdessen hat der Elternrat des Gymnasiums Uhlenhorst-Barmbek (GUB) große Unstimmigkeiten im Datenmaterial der Schulstandortplanung entdeckt und wirft der Behörde vor, 290 Schüler einfach „weggezaubert“ zu haben. Mutter Iris Otto, von Beruf Mathelehrerin, verglich ganz einfach die von der Behörde im September veröffentlichte „Ist-Analyse“ mit den Zahlen des endgültigen, im Januar veröffentlichten Schulentwicklungsplans. Zu ihrer Verblüffung stimmten für die Region Nord 3 (N3) die Zahlen nicht überein. Ging die Behörde im Herbst noch davon aus, dass ab dem Jahr 2010 1.250 Schüler die Sekundarstufe I (Klasse 7 bis 10) an den vier Gymnasien GUB, Lerchenfeld, Margaretha-Rothe und Emil-Krause besuchen, werden in dem endgültigen Plan, der die Schließung des GUB vorsieht, nur 940 Schüler prognostiziert.
Behördensprecher Luckow hat dafür eine Erklärung. Man habe besagte Analyse auf „Fehler und Plausibilität“ überprüft, antwortet er der taz. Dabei sei in der Region N3 der Wert für die Sekundarstufe I um „etwa 280 Schüler“ abgesenkt worden, weil die Schüler des Emil-Krause-Gymnasiums zuvor doppelt berücksichtigt wurden. Weitere Korrekturen in anderen Regionen seien „vergleichsweise marginal“ gewesen. Mit Ausnahme der Region W3 in Wandsbek (Wellingsbüttel, Sasel, Poppenbüttel, Hummelsbüttel), wo die für 2010 vorhergesagten Werte für die Mittelstufe der Gymnasien umgekehrt von 988 auf 1.317 erhöht wurden.
„Für uns ist die Erklärung nicht plausibel“, hält GUB-Elternrätin Barbara Heinke dagegen. Denn die Region N3 habe schon heute an allen vier Gymnasien zusammen mehr Schüler in der Sekundarstufe I als für 2010 vorausgesagt. Gleichzeitig steigen selbst laut Behördenprognose die Schülerzahlen in Barmbek, weil 3.000 neue Wohnungen für Familien geplant sind. Doch nach Behördenrechnung kommen von konservativ geschätzten 270 neuen ABC-Schützen nur 13 aufs Gymnasium. Zum Vergleich: In den feineren Walddörfern rechnet man mit einer Übergangsquote von über 50 Prozent.