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Archiv-Artikel

Der romantische Kreislauf

Jugendliche Helden beschäftigen sich am liebsten mit sich selbst und stellen sich wieder die alten Fragen nach der großartigen Hölle der Jugend – jedenfalls im jungen deutschen Kino: „Kammerflimmern“ von Hendrik Hölzemann und „Egoshooter“ von Christian Becker und Oliver Schwabe

Die Zeit der Jugend wird als Irrwanderung zwischen Selbstfindungstrip und emotionalem Amoklauf inszeniert

VON DIETMAR KAMMERER

Der neueste junge deutsche Film stellt sich die alten Fragen: Was für eine großartige Hölle ist die Jugend? Kann die Liebe dein Leben retten? Oder wenigstens die nächste Nacht? Und wie geht das überhaupt: sich lebendig fühlen? Eben noch feierte das Feuilleton Filme wie Hans Weingartners „Die fetten Jahre sind vorbei“ oder Marcus Mittermaiers „Muxmäuschenstill“ als Kino mit einer zwar eigenwilligen, aber dennoch deutlich politischen Botschaft. Doch scheint die kurze Phase der Neugier auf aktuelle gesellschaftliche Fragen unter Jungfilmern bereits wieder beendet zu sein, das Interesse an Zuständen jenseits der eigenen Be- und Empfindlichkeiten bloße Episode zu bleiben. Stattdessen werden die Jugendlichen wieder auf ihr Jugendlich-Sein abgeklopft, wird dieser schillerndste aller Lebensabschnitte als Irrwanderung zwischen Selbstfindungstrip und emotionalem Amoklauf inszeniert.

Wie in „Die fetten Jahre sind vorbei“ steigt auch in „Egoshooter“ von Christian Becker und Oliver Schwabe einer in ein leer stehendes Haus mit teurem Mobiliar ein. Seine Triumphgefühle darüber verwandelt Jakob (Tom Schilling) allerdings nicht in eine moralische Lehrstunde in Sachen Globalisierungskritik, wie noch Brühl und Co. ihre nächtlichen Streifzüge rechtfertigten. Er lädt erst mal seinen besten Kumpel ein, weil es sich gemeinsam besser auf dem Designersofa lümmeln lässt. Die beiden imitieren ironisch ein bisschen bürgerliches Spießerleben, bis sie davon genug haben und die Einrichtung genussvoll mit dem teuren Golfschläger zerlegen. Sozusagen die häusliche Variante der Crash-Car-Kids. So agiert sich kein Zorn auf materielle Verhältnisse aus, eher die Frustration über die Unfähigkeit zu eigener Perspektive. Wenn Jakobs bester Freund Phillip (Max Timm) davon fantasiert, eine Jugendbewegung aufzubauen, „durchaus mit einer gewaltbereiten Masse“, begräbt er den Gedanken mit dem nächsten Atemzug. „Du siehst, wie die Leute drauf sind. Es passiert einfach nichts. Und wenn du sie ein bisschen mobilisiert hast, fangen sie an, sich untereinander zu streiten.“

Folglich vertreiben sich die beiden die Zeit lieber mit Ersatz-Gewaltfantasien, mit Spielzeugpanzern, Luftgewehrübungen und Militaryspielen im Wald. Da ist durchaus offen, ob man einmal auf Seiten der Weltverbesserer oder der ewig unverbesserlichen Schlägertypen stehen wird. Klar kann man auch ein Nazi werden. Möchte man zwar nicht. Aber wusste denn der Nazi von nebenan, dass aus ihm einmal ein Nazi werden würde? Darauf reduziert sich Entscheidungskraft: sich eingestehen, dass man keine hat. Kein Wunder, dass Jakob das Flüchtige, das das eigene Leben ist, zwanghaft wenigstens mit seiner Digitalkamera festzuhalten versucht und sein Leben als dauerndes Videotagebuch führt, mit ständiger Möglichkeit zur Selbstkontrolle und -befragung dank Rewind/Forward/Replay-Modus. „Sachen kommen und gehen. Ich werde versuchen, so viel wie möglich festzuhalten.“ Selbst wenn ihm beim Blick durch den Sucher die Kategorien von subjektiver Empfindung und objektiver Außenwelt verschwimmen und er die Freundin des älteren Bruders filmt, als ob es die eigene wäre.

Auch der junge Rettungssanitäter Crash (Matthias Schweighöfer) in „Kammerflimmern“ von Hendrik Hölzemann verliert gerne mal die Übersicht zwischen Wirklichkeit und Einbildung und tagträumt sich über die Grenze zwischen Erinnerung, Gegenwart und Illusion. Den Spitznamen hat er von seinen Kollegen bekommen, die Narbe auf der Wange von einem Autounfall in der Kindheit, bei dem beide Eltern ums Leben gekommen sind. Davon träumt er jede Nacht, und tagsüber versucht er, es ungeschehen zu machen, indem er anderen das Leben rettet. Kein leichter Job, schon gar nicht mit dem durchgehend desolaten Personal, mit dem er es täglich zu tun hat: zynische Kollegen, für die Patienten sämtlich nur Simulanten und Heulsusen sind; das noch minderjährige Mädchen, das er täglich aufs Neue im Vollrausch in die Ausnüchterungszelle bringen darf; die ältere Dame, die den Rettungsdienst erst ruft, als ihr Ehemann bereits seit Tagen mausetot auf dem Teppich vor sich hin modert. „Bringing Out the Dead“ in den Straßen von Köln: eine Erlösungsgeschichte vom Retter, der gerettet werden will. Und wie weiland Nicholas Cage im Scorsese-Film wird auch Schweighöfer von der Vision einer jungen Frau verfolgt, allerdings einer, die er nie in Wirklichkeit gesehen hat. Als er seiner Traum-Frau (Jessica Schwarz) endlich in Fleisch und Blut begegnet, kniet sie über ihrem toten Freund, der gerade an einer Überdosis Heroin zugrunde gegangen ist.

Regisseur Hölzemann, der selbst im Rettungsdienst gearbeitet hat, nennt seinen Film die Geschichte eines jungen Mannes auf der Suche nach Trost. Den findet dieser auch, natürlich erst am Ende, und ausgerechnet neben einer umgestürzten Ambulanz und blutend im Gras, als sich seine Vision mit der Wirklichkeit zu decken beginnt. Dann stellt sich heraus: die Bewegung ging nicht hinaus, sondern wieder hinein, anstatt einer echten Befreiung gibt's Phantasmen von Wiedergeburt und Regression, Blut, Tränen und Regen sind irgendwie dasselbe, und der ewige Kreislauf gewinnt mal wieder. Der Symbolvorrat stammt aus der Romantik, die Botschaft ebenfalls: Liebe ist zwar stärker als der Tod, aber das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Erlösungsgeschichten, Trostsuchen, Identitätskrisen: die Lieblingslektüre des jungen deutschen Films heißt nicht „Empire“, sondern – mal wieder – „Die Leiden des jungen Werther“.

„Kammerflimmern“. Regie: Hendrik Hölzemann, mit Matthias Schweighöfer, Bibiana Beglau u. a., Deutschland 2003, 100 Min., in den Kinos„Egoshooter“. Regie: Christian Becker, Oliver Schwabe, mit Camilla Renschke, Tom Schilling u. a., Deutschland 2004, 79 Min., startet am 24. 2.