Swingereien liegen in der Luft

PLAYBOYBILDUNGSROMAN Der Spielfilm „Viva“ von Anna Biller ist eine Hommage an die bonbonbunten Soft-Core-Exploitation-Filme der 70er-Jahre

Der Himmel ist blau, die Sonne scheint ohne Unterlass. Es ist Anfang der 70er-Jahre, irgendwo in einem Vorort von Los Angeles, am Vormittag. Barbie (Anna Biller) und ihr Mann Rick (Chad England) sitzen vor ihrem Bungalow am Swimmingpool. Es ist ein perfektes Leben. Alles ist unglaublich bunt in dieser Zeit, obwohl das Farbfernsehen noch selten war. Die beiden rauchen Zigaretten, trinken Drinks – „it’s never too early to have a drink, isn’t it, honey?“ – und machen anzügliche Witze, über die sie ununterbrochen kichern. Sie planscht im Wasser und sagt: „There’s nothing I like more than being wet“. Dann liest sie im Playboy. Er hat sich gerade eine Kamera gekauft. Sie findet, er könne sie doch auch einmal so fotografieren. Gesagt, getan.

Sheila, die beste Freundin und Nachbarin, kommt im Bikini vorbei. Swingereien liegen in der Luft. „Viva“ ist eine ziemlich perfekt inszenierte, zweistündige Hommage an die bonbonfarbenen Soft-Core-Exploitation-Filme der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre. Anna Biller schrieb das Drehbuch, führte Regie, spielt die Hauptrolle, zeichnet für das Kostüm- und Produktionsdesign verantwortlich und produzierte. Alles ist extrem künstlich, das Produktionsdesign ist fantastisch, die von Amateuren gespielten Charaktere entsprechen den von Amateuren gespielten Figuren von Softcorefilmen jener Zeit, aber irgendwie fragt man sich ganz altmodisch, was das soll, was die Regisseurin einem mit ihrem Playboybildungsroman sagen will.

Barbie arbeitet als Sekretärin. Als ihr Chef herausfindet, dass sie verheiratet ist, entlässt er sie. Außerdem fühlt sie sich von ihrem Ehemann Rick vernachlässigt. Er verlässt sie, es trifft sich gut, dass ihre beste Freundin Sheila sich auch gerade von ihrem Mann getrennt hat. Beide beschließen, unter neuen Namen ein aufregendes Leben zu führen. Sie treffen eine Frau, die sie als Callgirls anstellt. „I always wanted to be a prostitute.“

Während die blonde Sheila sich an alte reiche Männer vermitteln lässt und irgendwann auch einen trifft, der ihr ein weißes Pferd schenkt, sucht Barbie Männer, die sie verstehen. In ihrem parodistischen Bildungsroman trifft sie schwule Friseure, Künstler, Hippiegurus, Fotografen, besucht Nudistencamps und Orgien, wird vergewaltigt und nimmt dann und wann Drogen. Die oft effeminiert agierenden Männer reden von sexueller Befreiung und schmollen ganz reizend, wenn sie nicht gleich Sex haben dürfen. Barbie aber möchte Liebe und kehrt am Ende ihrer Odyssee zu ihrem Mann zurück.

Das Produktionsdesign ist der Star, die Inneneinrichtungen, die irrsinnigen Klamotten, die fantastischen Farbkombinationen. Die Akteure agieren aber vor allem wie comichafte, brechtische Puppen. Natürlich soll das so sein, aber es führt dazu, dass sich nur selten Begeisterung über Sprache mitteilt, wie etwa in den großartigen „Austin Powers“-Filmen. „Viva“ ist ein Fest für die Augen; das Herz aber berührt der Film nicht. DETLEF KUHLBRODT

■ „Viva“. Regie: Anna Biller. Mit Anna Biller, Jared Sanford u. a. USA 2007, 120 Min., im Kino in der Brotfabrik