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Archiv-Artikel

dvdeskDie Götter reiten den Besessenen

Eleanora Deren, die ihren Vornamen der Duse verdankte, wurde nach ihrem College-Abschluss im Jahr 1941 die persönliche Sekretärin der berühmten afroamerikanischen Tänzerin und Choreografin Katherine Dunham. Sie begleitete deren Dance Company auf Tournee durch die USA, in Los Angeles lernte sie dabei den Experimentalfilmer Alexander Hammid kennen. Deren änderte ihren Vornamen und war fortan nur noch als Maya Deren bekannt. Sie heiratete Hammid und drehte mit ihm im Jahr 1943 mit einer neu erstandenen Bolex ihren ersten Film „Meshes of the Afternoon“, bis heute einer der faszinierendsten Experimentalfilme. Es folgten weitere Werke, in denen Deren ihre Überzeugung umsetzt, dass das Kino der Trance und dem Tanz verwandt ist und seinen eigenen Bewegungs- und Montage-Gesetzen und nicht den Hollywood-Konventionen zu folgen hat.

Doch auch die Zusammenarbeit mit Katherine Dunham hinterließ Spuren in Derens Werk. Dunham war ihrerseits eine facettenreiche Persönlichkeit. Sie hatte neben ihrer praktischen Tanzausbildung – und der Gründung der ersten afroamerikanischen Tanzkompanie der USA „Ballets Nègres“ – bei den berühmtesten Ethnologen ihrer Zeit wie Bronislaw Malinowski und Edward Sapir Ethnologie studiert. Schwerpunkt ihrer Forschung waren die karibischen Tänze und Tanzrituale afrikanischen Ursprungs. Sie reiste nach Jamaika, nach Martinique und nach Haiti, wo sie sogar als Vodun-(Voodoo-)Priesterin anerkannt wurde. Ihre Abschlussarbeit, die sie 1939 schrieb, trug den Titel „Dances of Haiti, Their Social Organization, Classification, Form and Function“.

Als Deren mit der inzwischen am Broadway erfolgreichen Dunham arbeitete, lag deren ethnologische Arbeit noch nicht lange zurück. Wie stark Deren davon inspiriert war, zeigte sich, als sie selbst mit dem Geld eines Guggenheim-Stipendiums 1947 erstmals selbst nach Haiti reiste. Hatte sie, auf Dunhams Spuren, zunächst noch vor allem ein Film über die ritualisierten Tänze des Vodun interessiert, rückte zunehmend die Religion als Ganze in ihren Blick. Sie nahm Teil an den Ritualen und veröffentlichte im Jahr 1953 das Buch „Divine Horsemen: the Living Gods of Haiti“, das bis heute als Standardwerk zur Vodun-Religion gilt.

Natürlich hatte Deren bei ihren Reisen nach Haiti die Kamera dabei. Sie wurde von den Haitianern akzeptiert, diese ließen Aufnahmen von den Vodun-Ritualen, den Tänzen, den Tieropfern, den Besessenheitszeremonien zu. Zeit ihres Lebens war Deren für ihre filmische Arbeit zum Vodun um Anerkennung unter Ethnografen bemüht; sie blieb ihr jedoch, trotz der Unterstützung durch Margaret Mead und Gregory Bateson, im Ganzen versagt. Nicht zuletzt deshalb konnte sie bis zu ihrem frühen Tod im Jahr 1961 die Gelder nicht auftreiben, die ihr zur Fertigstellung des geplanten Vodun-Films verholfen hätten. Sie hinterließ so viele Stunden gefilmten, aber nie montierten Materials.

Der Komponist Teiji Ito, Derens dritter Ehemann, und nach seinem frühen Tod dessen Witwe, die Schnittmeisterin Cherel Ito, erstellten erst lange nach Derens Tod unter dem Titel des Buchs „Divine Horsemen“ eine Filmfassung des Materials. Derens Bilder von Besessenheitstänzen und religiösen Ritualen sind durchweg mit ihren Texten zur Vodun-Religion unterlegt. Erklärt wird der Titel – die Götter reiten den Besessenen wie der Reiter ein Pferd –, erklärt werden nüchtern und durchweg mit Sympathie die Hintergründe dessen, was in den Bildern zu sehen ist. Anders als etwa Jean Rouch in seinem ethnografischen Klassiker „Les maîtres fous“ von 1955 unternimmt Derens Kamera nie den Versuch, die Besessenheit darzustellen, indem sie selbst einen Zustand der Besessenheit zu erreichen suchte. Insofern passt der eher ethnografische als avantgardistische Ton des Films. Es ist keine Frage, dass ein von Deren montierter Film ganz anders ausgesehen hätte; dennoch sind auch die existierenden „Divine Horsemen“ ein spannendes und aufschlussreiches Werk.

EKKEHARD KNÖRER

■ Der Film ist auf DVD seit Längerem im Regionalcode 1 erhältlich, nun aber auch in der französischen Re:voir-Edition als europafreundliche Fassung für 27 Euro zu haben. Bestellung: www.re-voir.com