: Der Laden lief wie geschmiert
AUS GENF ANDREAS ZUMACH
Unmittelbar nach Vorlage des ersten Untersuchungsberichts der Volcker- Kommission zu Unregelmäßigkeiten beim Programm „Öl für Nahrungsmittel“ (ÖfN) im Irak (siehe taz vom Freitag) hat UNO-Generalsekretär Kofi Annan erste Konsequenzen gezogen. Gegen den ehemaligen Untergeneralsekretär und Leiter des ÖfN-Programms, Bennon Sevan, sowie den hohen UN-Funktionär Joseph Stephanides ordnete Annan ein UN-internes Strafverfahren an. Sollte die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen UN-MitarbeiterInnen aufnehmen, werde er deren diplomatische Immunität „sofort aufheben“. Annan hat zudem eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, mit denen „schwere Managementfehler“, Unregelmäßigkeiten und Versäumnisse, wie sie der Volcker-Bericht im Fall des ÖfN-Programms belegt, künftig vermieden werden sollen. Das ÖfN-Programm war Mitte 1996 vom UNO-Sicherheitsrat etabliert worden, um die Versorgung der unter UN-Wirtschaftssanktionen leidenden irakischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Medikamenten und anderen humanitären Gütern zu verbessern, die durch Erlöse aus Ölverkäufen erworben wurden.
Bennon Sevan, zypriotischer Staatsbürger mit einer knapp 40-jährigen UN-Karriere, ist inzwischen vollständig aus UN-Diensten geschieden. Ihm wird in dem 219-seitigen Bericht vorgeworfen, er habe persönlich Einfluss genommen auf die Auswahl der Unternehmen, an die das Regime von Saddam Hussein im Rahmen des ÖfN-Programms Öl verkaufte. Damit habe sich Sevan in einen „schwerwiegenden Interessenkonflikt begeben“ und gegen „spezifische UN-Regeln verstoßen“.
Der aus Sicht der Volcker-Kommission gravierendste Einzelverstoß Sevans wird im Detail geschildert. Sevan setzte sich ab 1998 beim irakischen Ölminister erfolgreich dafür ein, dass die kleine, in Panama registrierte Handelsfirma Africa Middle East Petroleum Company (AMEPC) 7,3 Millionen Barrel Öl aus dem Irak erhielt, die sie dann mit einem Gewinn von rund 1,5 Millionen US-Dollar verkaufte. Chef der AMEPC ist ein Freund Sevans, der Ägypter Fakhry Abdelnour, ein Vetter von Kofi Annans Amtsvorgänger Boutros Boutros Ghali. Als Gegenleistung erhoffte sich Bagdad, dass sich Sevan für eine Lockerung der UNO-Sanktionen gegen Irak einsetze – insbesonders für eine Aufhebung des Verbots der Lieferung von Ersatzteilen für Ölanlagen. Ob er diesem Wunsch nachgekommen ist, geht aus dem Bericht nicht eindeutig hervor.
Die Volcker-Kommission hält Sevan zwar nicht ausdrücklich Korruption vor, verweist aber auf „verdächtige Geldzahlungen“ an Sevan in Höhe von 160.000 Dollar in den Jahren 1999 bis 2003. Sevan gibt an, er habe das Geld von seiner im letzten Jahr verstorbenen Tante erhalten. Die Kommission bezweifelt dies, da die Tante „in sehr bescheidenen Verhältnissen gelebt“ habe. Die Ermittlungen in dieser Sache werden fortgesetzt.
Der britische Staatsbürger Joseph Stephanides war als Mitarbeiter des Sicherheitsrates für die Auswahl und Kontrolle der Banken und Inspektionsfirmen verantwortlich, an die die UNO Aufträge zur Abwicklung und Überwachung des ÖfN-Programms vergab. Unter Umgehung der UN-Regeln soll Stephanides den britischen Lloyd’s Register einen lukrativen Vertrag zur Überwachung des ÖfN-Programms zugeschanzt haben. Ähnliche Unregelmäßigkeiten stellte die Kommission auch bei der Auftragsvergabe an die niederländische Firma Saybolt Eastern Hemisphere sowie an die Banque Nationale de Paris fest. Den Zuschlag für die Bank erteilte Ex-UNO-Generalsekretär Boutros Ghali – nach Rücksprache mit Bagdad.
Der Bericht der Volcker-Kommission macht deutlich, dass die oberste politische Verantwortung für eine korrekte Durchführung des ÖfN-Programms beim Sicherheitsrat lag, und dass der Rat diese Verantwortung nicht wahrgenommen hat. Sämtliche rund 36.000 Verträge zum Verkauf von Öl oder zum Ankauf humanitärer Güter, die im Rahmen des ÖfN-Programms abgeschlossen wurden, lagen dem Rat vor. In keinem einzigen Fall erhob der Rat Einwände (auch nicht in mindestens 70 Fällen, in denen er Vorwarnungen aus dem UN-Sekretariat erhielt), außer wenn die USA oder Großbritannien ein Veto einlegten mit der Begründung, von Bagdad bestellte humanitäre Güter hätten auch eine militärische Verwendung.
Durch Missbrauch des ÖfN-Programms hat das Regime von Saddam Hussein nach Feststellung der Volcker-Kommission rund 3,7 Milliarden US-Dollar eingenommen – und damit die UN-Sanktionen unterlaufen. Sehr viel höhere Einnahmen – nämlich insgesamt 13,6 Milliarden Dollar – erzielte Bagdad allerdings durch Ölschmuggel in die Nachbarländer, vor allem an die beiden Verbündeten der USA, Türkei und Jordanien. Dieser Schmuggel – obwohl ebenfalls ein klarer Verstoß gegen die UN-Sanktionen – erfolgte mit ausdrücklicher Billigung und Unterstützung Washingtons. Von 1991 bis 2003 erließ die Regierung in Washington jedes Jahr eine Ausnahmeregel von dem US-Gesetz, das den Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen gegen Sanktionsbrecher wie die Türkei und Jordanien vorschreibt. Obwohl diese Fakten auch in einem Untersuchungsbericht des US-Senats zu lesen sind, spielten sie in der öffentlichen Diskussion der USA bislang keine Rolle. In den letzten beiden Tagen befassten sich erstmals zwei größere Medien – die Washington Post und die Los Angeles Times – mit diesem Aspekt.