: Die Hoffnung trägt Grün
MACHTKAMPF Mit Partys bis tief in die Nacht feiert das junge Teheran den Präsidentschaftskandidaten Mussawi
Mehdi Karrubi (72), Geistlicher und ehemaliger Parlamentspräsident, wirft Ahmadinedschad vor, durch seine unberechenbare Politik das Land isoliert zu haben. Er tritt für eine Liberalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft ein.
Der amtierende Präsident Mahmud Ahmadinedschad (52) steht wegen seiner Atom-, Außen- und Wirtschaftspolitik in der Kritik. Fundamentalistische Anhänger der Revolution und Teile der Armen zählen zu seinen Unterstützern.
Der Exchef der Revolutionsgarden Mohsen Resai (57) legt den Schwerpunkt auf Wirtschaft und Außenpolitik. Wegen eines Anschlags auf das jüdische Kulturzentrum in Buenos Aires 1994 läuft ein internationaler Haftbefehl gegen ihn.
Der ehemalige Hardliner und Regierungschef Mir Hussein Mussawi (67) propagiert heute den Wechsel innerhalb des politischen Systems. Im Wahlkampf setzte er sich auch für eine Stärkung der Frauen- und Bürgerrechte ein.
AUS TEHERAN KARIM EL-GAWHARY
Grün ist auch im Iran die Hoffnung, die Farbe der islamischen Propheten Muhammad und Hussein, die der alten persischen Religion Zarathustras. Heute ist die Wali-Asr-Straße im Norden Teherans in Grün getaucht. Mir Hussein Mussawi, der schärfste Konkurrent des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad hat den Farbton für seinen Wahlkampf klug und mit Bedacht ausgewählt.
Auch noch weit nach Mitternacht ist die Straßenparty mit Tausenden von Menschen im vollen Gang. Sei es die iranische Rap-Musik zu der die Jugendlichen vor ihren Autos tanzen, seien es die jungen Frauen, mit ihrer für iranische Verhältnisse freizügigen Kleidung und den Pro-forma-Kopftüchern, die gerade einmal den allerhintersten Teil ihrer Haarpracht bedecken, alles hier ist eine Provokation der Konservativen rund um Ahmadinedschad. Sie tragen grüne Banner, grüne Ballons, manche sogar grün blinkende Teufelshörnchen, viele Frauen tragen grüne Kopftücher. „Alles, was der Bauer pflanzt, kommt aus der Erde und ist grün“, singen sie und skandieren „Bye, bye Ahmadinedschad“. Ein Mann hält eine Zeitung hoch. Der Nachdruck eines Exemplars, das damals bei der Flucht des Schahs veröffentlicht worden war. Nur die Schlagzeile hat er ausgewechselt „Mahmud A. ist weg“, statt „Der Schah ist weg“.
Sah es noch vor wenigen Wochen so aus, als ob der amtierende Präsident Ahmadinedschad ohne weitere Probleme für eine zweite Amtszeit gewählt wird, hat in den vergangenen Tagen sein größter Gegenkandidat Mussawi, der sich selbst als Reformer bezeichnet, an Schwung gewonnen. Vor allem seine Fernsehauftritte und auch die seiner Frau Sahra Rahneward, die als erste Frau im Iran für einen Präsidentschaftskandidaten Hand in Hand mit ihrem Mann vor laufenden Kameras Wahlkampf macht, stellen den Wahlsieg Ahmadinedschads in Frage.
„Mir geht es einfach und allein um mehr Freiheiten“, sagt die junge iranische Studentin Nasi und hält ihr Mussawi Poster hoch. „Ahmadinedschad – Lügner XXL“ steht auf dem Poster, das der Anwalt Sia den hupenden Autos entgegenhält. „Er hat uns eine bessere ökonomische Lage versprochen, er hat einfach gelogen. Heute haben wir eine Inflationsrate von mindestens 20 Prozent“, erklärt er. Auch aufgrund der internationalen Lage wird er am heutigen Freitag Mussawi seine Stimme geben. „Der US-Präsident Barack Obama zeigt Flexibilität. Ich möchte einen Präsidenten, der auf den Rest der Welt zugeht“, rechtfertigt er. Genau das hat Mussawi in zahllosen Wahlkampfreden versprochen.
„Mit Ahmadinedschad gibt es keine Hoffnung und Mussawi hat gesagt, er will die Konflikte beenden“, meint der Rentner Muhsen. Auch die Provokationen mit dem Nuklearprogramm waren seiner Meinung nach unnötig. „Wir brauchen keine Atombombe, um stark zu sein“, sagt er, betont aber, wie alle Iraner, das Recht auf friedliche Nutzung der Atomenergie. „Das kann uns niemand nehmen“, fügt er selbstbewusst hinzu. Und auch das ganze Gerede Ahmadinedschads über den Holocaust habe dem Iran nur unnötig Feinde geschaffen.
Es sind Reformer wie der erste Außenminister der islamischen Revolution, Ibrahim Jasdi, die sich durch diese neue grüne Bewegung gestärkt sehen. „Iranische Wahlen sind unberechenbar“, sagt Jasdi im Gespräch mit der taz. Es sei nicht klar, wer am Freitag das Rennen mache. „Aber die vergangenen Tage haben gezeigt, dass der überwiegende schweigende Teil der Gesellschaft zu schreien beginnt“, meint er. Ahmadinedschads größtes Problem sei nicht die politische Isolation, in die er sein Land getrieben hat, und seien auch nicht die mangelnden persönlichen Freiheiten. „Sein Hauptproblem ist, dass seine wirtschaftlichen Leistungen weit hinter seinen Versprechen bei den vergangenen Wahlen und hinter den Erwartungen der Menschen zurückgeblieben sind“, sagt Jasdi.
Trotz eines Ölrekordpreises von 150 Dollar pro Fass in seiner Amtszeit gehe es vielen Iranern heute schlechter als vor vier Jahren. „Ich war vor Kurzem in einem entlegenen Dorf in den Bergen und habe mich dort mit einem Schäfer unterhalten“, erzählt Jasdi. „Er sagte, es gebe zwei Arten von Hirtenhunden. Die einen seien ganz still, aber wenn der Wolf kommt, dann greifen sie ihn an. Die anderen bellen die ganze Nacht, und wenn der Wolf kommt, laufen sie davon. Wenn du etwas erreichen willst, dann mache keine Geräusche sondern handle einfach, sagte der Schäfer.“ Er werde jedenfalls nicht noch einmal Ahmadinedschad wählen.
„Es kocht unter der Oberfläche der Gesellschaft“, glaubt Isa Saharchis. Dem Reformjournalisten war von einem iranischen Gericht vor vier Jahren wegen seiner kritischen Berichte ein Schreibverbot auferlegt worden. „Es braucht eine lange Zeit von 0 auf 100 Grad, aber wir befinden uns irgendwo über 90 Grad, und die ersten Blasen erscheinen schon“, führt er aus. Ahmadinedschad steht inzwischen ein breites Bündnis entgegen. „Da sind die Demokratie- und Menschenrechtsaktivisten, besonders in der Studentenbewegung, da ist die Lebenstilbewegung der jungen Leute, die dieser Tage jede Nacht auf die Straße gehen, da ist die Industrie und sind die Ökonomen, die der Regierung eine katastrophale Wirtschaftspolitik bescheinigen und da sind die Kleriker und islamischen Revolutionspolitiker der ersten Stunde, die fürchten, dass Ahmadinedschad dem Image der islamischen Revolution schadet“, zählt der Journalist auf. Ein offener Brief Haschemi Rafsandschanis, des Vorsitzenden des allmächtigen Expertenrates, in dem dieser den Revolutionsführer Ali Chamenei auffordert, sein Schweigen zu brechen und Ahmadinedschad Einhalt zu gebieten, wird von vielen Iranern als der berühmte Strohhalm gesehen, der des Kamels Rücken brechen könnte.
Doch Ahmadinedschad wird hart zu schlagen sein. Ironischerweise tritt er mit dem Slogan Obamas „Yes we can“ – auf persisch „ma mi tavani“ an. Hinter ihm stehen Staatsapparat und die mächtigen Revolutionsgarden, und auch der Revolutionsführer und die eigentliche graue Eminenz im Land, Ali Chamenei, will seinem kontroversen Präsidenten nicht öffentlich vor den Bug fahren.
Im Dorf Aru, eine gute Autostunde von Teheran entfernt, sieht die Welt ganz anders aus, als auf den grünen Straßen der iranischen Hauptstadt. Hier finden sich in den Heckscheiben der Autos fast nur Poster des Präsidenten. Die Alten, die am Eingang des 700-Seelen-Dorfes sitzen, erklären warum.
„Ich werde Ahmadinedschad wählen, weil ich dank seiner Initiative eine Rente habe“, sagt der ehemalige Landarbeiter Raschid Schamseddin. Sein auf der Bank sitzender Freund Aghjan Soulfaghari stimmt zu. „Unter Ahmadinedschad wurde in unserem Dorf mit dem Projekt einer Klinik, eines Fußballplatzes für die Jugendlichen und einer Sporthalle für Frauen begonnen.“ Außerdem habe der Ort jetzt eine Kanalisation, damit das jährliche Schmelzwasser aus den dahinterliegenden Bergen nicht jedes Jahr die Straßen wegreißt, erzählt er. Die Klinik und die Sporthalle sind zwar bisher nicht viel mehr als ein Gerüst, aber wenn Ahmadinedschad gewählt wird, wird es mit ihrem Dorf weitergehen, hoffen sie. Auch der Jugendliche Mahmud Gholibigi, der zufällig die Dorfstraße entlangkommt, bestätigt: „Ich werde Ahmadinedschad wählen, er hat ein Gesicht, dem man einfach trauen muss. Er hat den jungen Leuten im Dorf Kredite verschafft und überall in der Umgebung viele Projekte begonnen“, schwärmt er. Der internationale Streit ums iranische Nuklearprogramm, Ahmadinedschads Holocaust-Reden, die Forderung der Teheraner Jugendlichen nach mehr persönlichen Freiheiten – all das ist weit weg. Im Dorf Aru geht es um die Renten und den neuen Fußballplatz. Und es sind vor allem diese ländlichen Gebiete und die iranischen Kleinstädte, in die die Regierung in den vergangenen vier Jahren Geld investiert hat. Dort haben Ahmadinedschad und die Konservativen ihre Hochburgen. Dort wurden sie auch das letzte Mal gewählt.
Nur bei der Abfahrt aus dem Dorf kommt noch ein Bauer angelaufen, lehnt sich ins Autofenster. „Nicht, dass Sie glauben, alle hier würden Ahmadinedschad ihre Stimme geben“, beginnt er. Die Geschichte von Sabsali Resai ist schnell erzählt. Die steigenden Preise haben ihn gezwungen, seinen Kartoffelacker zu verkaufen, und von der Regierung habe er keine Unterstützung bekommen und er sei beileibe nicht der Einzige mit derartigen Problemen. „Ich werde Mussawi wählen“, verkündet er. Dann stapft er davon, mit der Zufriedenheit eines Menschen, der gerade etwas richtiggestellt hat und der sich im iranischen Machtkampf zwischen Konservativen und Reformern bei der Wahl am Freitag als Zünglein an der Waage erweisen könnte.