: Hundertmark für Hertie
FEHLDIAGNOSE Die Liquidierung der Kaufhauskette Hertie galt als beschlossen, doch ein Investor aus Flensburg plant die Rettung von neun Häusern mit 500 Arbeitsplätzen in Norddeutschland
Neun norddeutsche Hertie-Warenhäuser will die Flensburger Beratungsfirma Hansekontor übernehmen:
■ in Schleswig-Holstein die fünf Standorte Elmshorn, Itzehoe, Schleswig, Rendsburg und Husum
■ in Niedersachsen Stade, Wilhelmshaven und Cuxhaven
■ in Hamburg die Filiale im Stadtteil Barmbek (JV)
VON JOSEPH VARSCHEN
Die Mitarbeiter der Hertie-Warenhauskette mussten in den vergangenen Jahren viel ertragen. Vom Investor und Karstadt-Retter bis zum hoffnungslosen Insolvenzfall: Hertie hat fast alle wirtschaftlichen Extreme durchlaufen. „Ein Wechselbad der Gefühle“, sagt Mathias Hundertmark. Der Geschäftsführer der Flensburger Unternehmensberatung Hansekontor plant die Übernahme von neun Hertie-Häusern in Schleswig Holstein, Hamburg und Niedersachsen.
Damit beginnt für die Hertie-Mitarbeiter erneut das Hoffen und Bangen um den Arbeitsplatz. Die meisten von ihnen sind ehemalige Karstadt-Angestellte. Als 2004 der Arcandor-Konzern in eine tiefe Krise geriet, musste er einschneidend saniert werden. „Alle Häuser unter 8.000 Quadratmeter wurden ausgegliedert“, erinnert sich Karstadt-Sprecher Michael Scheibe. Auch damals standen Tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel. Rettung kam – von Hertie: Die Kette übernahm 77 ehemalige Karstadt-Häuser, Kaufhof schloss eine Übernahme damals aus.
Bereits im Juli 2008 meldete Hertie dann selbst Insolvenz an. Nach monatelanger Investorensuche gab Insolvenzverwalter Biner Bähr Hertie zur Liquidation frei. Den endgültigen Ladenschluss beschloss im Mai die Gläubigerversammlung: Die Suche nach Investoren sei an den horrenden Mieten des britischen Eigners Dawnay Day gescheitert, tönt es aus den Betriebsräten der Filialen.
Das sieht der neue Investor anders: „Die Preisvorstellung der Besitzer sind bei weitem nicht so überteuert wie im Vorfeld dargestellt“, sagt Hundertmark. Die Verhandlungen mit Dawnay Day seien so gut wie abgeschlossen.
Die Nachricht aus Flensburg kommt für alle Beteiligten vollkommen überraschend. Noch in der vergangenen Woche waren 44 Bürgermeister aus den betroffenen Städten zum Hauptsitz der Deutschen Bank nach Frankfurt gepilgert – sie ist die Hauptgläubigerin. Die vom Rendsburger Stadtoberhaupt Andreas Breitner initiierte Aktion sollte das Aus noch abwenden. Auch die Hertie-Beschäftigten hatten ihrerseits eine finale Protestaktion geplant: Am kommenden Dienstag um fünf nach zwölf hätten sie symbolisch ihren Arbeitsplatz verlassen wollen.
„In Kleinstädten“, sagt Ver.di-Nord-Sprecher Frank Schischewski, „sind die Warenhäuser als Anziehungspunkt des öffentlichen Lebens nicht zu ersetzen.“ Das Angebot aus Flensburg kommt auch für den Gewerkschafter überraschend: „Das wären ja alle Standorte in Schleswig Holstein“, sagt Schischewski über die Rettungspläne.
„Plan B“, so nennt Hundertmark sein Konzept, das die Gründung einer Art „Hertie-Nord“ vorsieht: Die neun übernommenen Filialen sollen unter einem gemeinsamen Dach organisiert werden. Ob der Name Hertie erhalten bleibt, ist noch unklar. „Über die Namensrechte wird momentan noch verhandelt“, sagt der Hansekontor-Chef.
Personalabbau sei bei den Umstrukturierungen kein Thema, sagt Hundertmark: „Wir planen nicht nur die jetzigen Mitarbeiter zu übernehmen, sondern auch zusätzliche Kräfte einzustellen.“ Man wolle heraus aus dem „Schnäppchenmarkt-Segment“ und werde sich künftig auf den Bereich Mode sowie „Home and Living“ konzentrieren: „Die bisherige Zielgruppe der profilierten Hausfrau zwischen 40 und 50 muss stark erweitert werden, um in die Gewinnzone zu gelangen“, sagt Unternehmensberater Hundertmark. Auch soll laut dem neuen Geschäftsmodell ein Online-Shop eingerichtet werden – für Hertie wäre das Neuland. Das Konzept liegt den Banken vor und befindet sich in der Prüfung.
Intern habe man bei Hansekontor schon seit Jahren über einen Einstieg in den Einzelhandel nachgedacht. „Uns ist wichtig, dass die Filialen von aktiven Unternehmern geführt werden“, sagt Hundertmark: „Wir brauchen Menschen, die den realen Handel im Auge haben und nicht nur den Aktienkurs.“
„Ich kann bisher nichts Versprechen“, betont Hundertmark. Auch die Zusage der Eigner sei bisher noch nicht unterschrieben. Damit rechne man in den nächsten vier bis sechs Wochen. „Ich möchte keine falschen Hoffnungen wecken.“ Ein endgültiges Verhandlungsergebnis erwartet Hansekontor nicht vor dem 1. August. „Dann“, sagt Hundertmark, „liegen die Fakten auf dem Tisch.“