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Archiv-Artikel

Die Mauer im Kopf?

Mauerstückchen und Grenzgänge – Gespräch über Standortvorteile und Berlin-Devotionalien

Christian Tänzler

■ gelernter Wirtschaftsgeograf, passionierter Radfahrer, engagierter Pressesprecher des Berlin Tourismus Marketing.

VON SOFIA SHABFROUZ UND EDITH KRESTA

taz: Das Berlin-Marketing wirbt dieses Jahr schwerpunktmäßig mit 20 Jahren Mauerfall. Berlin, die ewige Mauerstadt?

Christian Tänzler: Wir haben gedacht, das ist primär ein deutsches Thema und vielleicht noch für die alliierten Kräfte. Aber die Resonanz auf das Thema ist grandios. Es rückt Berlin in den Fokus der Weltöffentlichkeit.

Welches Publikum kommt?

Alle. Junge Leute, die das gar nicht erlebt haben, aber auch viele ältere Leute, die sehen wollen, was sich verändert hat.

Standortvorteil Mauer?

Ich möchte es nicht missverstanden wissen als Disneyland. Berlin hat durch das ehemalige Mauergelände einen einmaligen Charme. Wenn man es runterbricht, ist ja alles, was so szenemäßig passiert, zwischen Kreuzberg und Friedrichshain auf dem ehemaligen Grenzgelände.

Und dieser ganze Mauerkitsch, also die Berlin-Devotionalien, ist das auch eine Idee des Berlin-Marketings?

Sie können natürlich bei uns in den Info-Stores Mauerstückchen kaufen. Das ist eines unserer bestverkauftesten Produkte.

Sind die alle echt?

Ja. Die sind garantiert echt mit Zertifikat. Es hat ganz pfiffige Leute gegeben, die gleich nachdem Mauerfall die Reste abtransportiert haben, und es gibt irgendwo Orte, die ich Ihnen nicht sagen könnte, selbst wenn ich wollte, wo diese gehortet sind.

Noch von damals?

Ja. Und diese werden gewinnbringend verkauft. Auch eine Form von Geschäftsidee in Zeiten der Krise.

Ist das Kontingent nicht irgendwann erschöpft?

Irgendwann ist es erschöpft.

Und dann?

Dann müssen wir uns etwas Neues einfallen lassen. Vielleicht machen wir es wie Herr Wowereit und lassen Styropormauerstückchen von Künstlern und Kindern bemalen. Er war in den USA damit und es war ein Riesenerfolg.

Also die Mauer haben nicht wir Berliner im Kopf …

… Wenn Sie irgendwo im Ausland sagen, Sie kommen aus Berlin, da haben Sie meistens beim Gegenüber ein Leuchten in den Augen. Während die Berliner selber nicht immer stolz auf ihre Stadt sind.

Wenn Sie Berlin vermarkten müssen …

Dürfen!

dürfen, okay …

Lege ich Wert drauf!

welchen Spagat müssen Sie dann machen?

Also wir sind da sehr, sehr kleinteilig, was die spezielle Ansprache an unterschiedliche Zielgruppen betrifft.

Welche Rolle spielt der Nationalsozialismus?

Spielt eine Rolle mit abnehmender Tendenz. Grade Großbritannien und USA waren früher die klassischen Märkte für Holocaust und Faschismus. Doch gerade bei jungen Leuten in Großbritannien gilt, Berlin ist die Trend-Stadt: die Stadt für junge Mode, Streetfashion, für Musik, Ausgehen und Clubbing. Der Tresor ist immer noch die berühmteste Techno-Disco der Welt. Und das wird viel, viel stärker wahrgenommen als irgendwelche Dritte-Reich-Geschichten.

Welche Touristen kommen verstärkt?

Deutschland ist der wichtigste Markt mit rund 60 Prozent des Gästeaufkommens. Bei den ausländischen Märkten ist an erster Stelle Großbritannien, gefolgt von den USA. Dann geht das Gerangel los.

Ist der Zuwachs im Berlin-Tourismus nicht vor allem Resultat der Billigflieger?

Sicherlich ein Grund. Wir sind nach London-Stansted in Europa das größte Drehkreuz für Billigflieger.

Ihr ganz persönlicher Geheimtipp? Der dann nicht mehr geheim sein wird …

Ich hab kein Auto und bewege mich immer mit dem Fahrrad. Ich bin ein absoluter Fahrradfreak. Am liebsten umkreise ich auf dem Mauer-Radweg Berlin.

Na, wenn das jetzt mal nicht PR war für das Mauerjahr …

Nee, ist es nicht. Und ich kann Ihnen noch mehr verraten. Mein liebstes Stück, vor allem, wenn die Kirschen blühen, ist das Stück oberhalb des Mauerparks. Da haben die Japaner eine Kirschenallee gepflanzt. Das ist echt der Hammer!