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Archiv-Artikel

„Verweigerung wäre mir peinlich“

MALEREI Chef der Nullerjahre: Ein Gespräch mit dem Malerstar Daniel Richter über seine Wende, den Kunstmarkt und warum er bei der Ausstellung „60 Jahre, 60 Werke“ mitmacht

Daniel Richter

■ geb. 1962 in Eutin. In der Galerie Contemporary Fine Arts in Berlin eröffnet am 18. Juni seine neue Schau. Richter studierte in Hamburg bei Werner Büttner und war Assistent von Albert Oehlen. Plattencover für die Goldenen Zitronen, Eigner von Buback Records. Kunstprofessor in Wien. Lebt in Hamburg und Berlin. Foto: A. Fuchs

INTERVIEW ANDREAS FANIZADEH

taz: Herr Richter, erinnern Sie sich noch an Ihr letztes Tauschgeschäft?

Daniel Richter: Ich hab ein wenig Kunst gegen gutes Gewissen gegeben. Bilder für Benefiz-Auktionen und gutes Essen.

Wie schätzen Sie die Lage auf dem Kunstmarkt gegenwärtig ein, hat zum Beispiel Ihre Galerie wegen der Finanzkrise schon abspecken müssen?

Die Galerie, Contemporary Fine Arts, gehört ja nicht mir, sondern den Galeristinnen. Alle reduzieren, und die weitere Entwicklung ist gegenwärtig schwer abzuschätzen.

Über Ihre Galerie wollen Sie nicht direkt sprechen?

Natürlich hat es überall Entlassungen gegeben. Aber zuvor hat es auch eine Boomphase gegeben mit einer wahnsinnigen Personalaufstockung. Es ist sehr viel Kapital unterwegs gewesen. Welche Werte sich etablieren und durchsetzen, das hat oft nichts mit Qualität zu tun.

Von Ihnen hieß es jahrelang, Sie könnten die große Nachfrage nach Ihren Bildern gar nicht bedienen. Wie ist das jetzt mit der Finanzkrise?

Im Juni habe ich die erste Verkaufausstellung seit einem Jahr. Insofern könnte ich hier nur spekulieren.

Sie wurden vom Markt gemacht, nicht von staatlichen Agenturen. Was sind das für Menschen, die – wie viel sind es derzeit, 300.000 Euro – für eines Ihrer großen Werke hinlegen?

Menschen, die das Geld haben.

Warum wird in diesem Maße in Kunst investiert? Aus Feinsinn, als Geldanlage?

Die meisten Kunden kenne ich nicht persönlich. Ich bin kein Händler, sondern Künstler. Die Kunst verkauft die Galerie. Am Anfang meiner künstlerischen Tätigkeit kannte ich noch viele Käufer. Es gibt Leute mit ernsthaften Interesse an Malerei und natürlich gibt’s auch welche, die haben ein temporäres, spekulatives Interesse. Was nicht schlimm ist. Viele der Sammler finanzieren neue Kunsteinkäufe durch Verkäufe früherer Erwerbungen. Ganze Museumsbestände kommen so zusammen.

Ihre Kunstproduktion ist relativ unabhängig vom Handel?

Theoretisch ja, praktisch nein. Im Prinzip kannst du Kunst machen, ohne mit den Interessenten zu tun zu haben. Heute mag das schwieriger sein, aber es hat immer Künstler gegeben, die zu ihrer Ausstellung nicht erscheinen und keine Interviews geben. Dennoch wird Kunst oft sehr stark über die Person des Künstlers interpretiert. Interessanterweise ist dies gerade bei Werken, die über Befragungen und Ironisierungen laufen, sehr wichtig. Der Künstler als Interpretator seiner selbst, als authentische Figur, das gibt es in der Konzept- und Medienkunst viel häufiger als in der Malerei. Die Behauptungen in der konzeptionellen Kunst werden oft an der Glaubwürdigkeit des Künstlers gemessen und weniger an dessen Kunstsprache. Ein merkwürdiges Verfahren, eine pervertierte Form der Wiederkehr des authentischen Künstleregos, der kein Produkt, sondern nur eine Idee zu verkaufen hat.

Weil die Sprache zu abstrakt ist?

Weil das behauptete Werk ohne die Sprache des Behauptenden nicht möglich ist. Ein Bild braucht die Vermittlung und diese nachgereichte Glaubwürdigkeit nicht. Wo die Aufführungspraxis die Hauptrolle spielt, wird die Kunst selber unwichtig. Dabei ist es für den Bilderkanon unwichtig, ob jemand dick oder dünn, links oder schwul ist.

Was ist der Resonanzboden Ihrer Malerei, wie kommunizieren Sie mit der Welt und wie schlägt sich das in Ihren Arbeiten nieder?

„Nullerjahre? Jonathan Meese, Neo Rauch und mir bleibt also noch ein ganzes Jahr!“

Das ist sehr unterschiedlich. Ich hab mal ein Bild gemalt über den Barmbeker Arbeiteraufstand 1927 in Hamburg. Der bringt ein sehr deutsches Dilemma auf den Punkt. Damals hatte sich in der KP schon der Thälmann-Flügel durchgesetzt, der den Weisungen der KPdSU aus Moskau anhing. Anfang 1927 gab es Hungersnöte und Revolten in Deutschland. Von Seiten der KPD und der KPdSU beschloss man, dass die Zeit reif für die Revolution sei. Die Revolution blieb aber aus. Die Situation änderte sich. Die Revolution sollte also abgesagt werden, was man bei einem Delegiertentreffen in Berlin beschloss. Doch dann gab es ein typisches Hamburg-Berlin-Problem. Und das war? Der Zug blieb auf der Strecke nach Hamburg mit dem Agenten hängen. Und so wurde sich am Hamburger Hafen bewaffnet, die Polizeiwache gestürmt und der Revolution geharrt. Tausende waren im Ausstand. Doch statt der Revolution kam das Militär. Die Aufständischen schafften es aber, sich bis nach Barmbek durchzuschlagen und in diesem Arbeiterbezirk zu verschwinden. Keine Gefangenen, keine Toten. Ein reiner Geisteraufstand, beruhend auf Autoritätshörigkeit und der schlechten Bahnverbindung Hamburg–Berlin.

Und wie haben Sie diese historischen Verwicklungen malerisch umgesetzt?

Es ist eine Allegorie.

Also nicht direkt lesbar?

Vorlage war ein ganz schlechtes historisches Foto, von einer schäbigen, leeren Barrikade in Hamburg. An einer Bahnunterführung liegen Baumaterial und Zäune, davor staffelt sich das Personal. Das kann man entschlüsseln, wenn man sich mit der Malereigeschichte und der Rolle des Affen darin auskennt.

Des Affen?

Der Schimpanse ist der menschliche Mensch. Der Affe hat die Rolle von dem sich nicht begreifenden, sich suchenden Menschen.

Er zieht sich durch Ihr Werk.

Ein bisschen. Aber in dem betreffendem Bild sitzt er im Rollstuhl. Es ist ein Porträt des weißen Gorillas, der gerade im Zoo von Barcelona gestorben war. Dazu die gescheiterte Revolte, der rote Stern überblendet mit der Krone aus der amerikanischen Freiheitsstatue. Niederlage der Arbeiterbewegung, aufziehendes „Drittes Reich“, Exil, Amerika. Das behandelt das Bild, um von da aus in die Zukunft zu sehen.

Wie viel von solch konkreten Auseinandersetzungen soll man in Ihren Bildern lesen, wie frei ist das Ganze?Das sind auch Experimente. Ich habe relativ wenige solch konkrete Bilder gemalt. Sie zwingen zu einer Allegorisierung, die schnell unpräzise und manchmal auch blödsinnig werden kann. Deswegen habe ich den Versuch, historische Ereignisse zu schildern und gleichzeitig über sie zu spekulieren, derzeit weitgehend eingestellt.

Es geht nun mehr ins Alltägliche, Traum, Subkultur …

Ins Evidente, Offensichtliche. Das Problem der allegorischen Bildsprache ist das große Wissen, das man zur Rezeption braucht. Das ist nicht erstrebenswert. Man neigt zur Spökenkiekerei. Aber so etwas musst du erst herausfinden. Für mich war es ein wichtiger Versuch, das Historienbild neu zu beleben. Sich wortwörtlich ein Bild von der Geschichte zu machen.

Sie haben gerade an der Ausstellung „60 Jahre, 60 Werke“ in Berlin teilgenommen. Warum?

„Ein radikaler Künstler ist nicht automatisch der, der sich explizit politisch äußert“

Ich könnte gar nicht verhindern, daran teilzunehmen. Das Bild gehört mir ja gar nicht mehr. Ich hätte versuchen können, Einspruch zu erheben, was ich in diesem Fall aber nicht wollte.

Eine Kritikerin sprach von einem „abgehangenen Mainstream“, Meese, Rauch und Sie als „Chefs der Nullerjahre“?

Jonathan Meese, Neo Rauch und mir bleibt also noch ein ganzes Jahr! Aber tatsächlich kann man gegen eine Greatest Hits Compilation grundsätzlich argumentieren, dabei sein will ich trotzdem.Also, mitmachen? Mit der Kunst ist das heute wie mit Underground und Popmusik: Wo sie funktioniert, wird sie umarmt. Wenn du nicht mitmachst, müsstest du den ganzen Akt der Verweigerung zelebrieren, das wäre mir peinlich. Lieber sage ich: Toll, dass man sich nun auch auf kritische Positionen wie Kippenberger oder Oehlen bezieht, auch wenn man sie damit zahnlos macht.

Sie wurden berühmt mit Ihren großen, wuchtigen Werken, nun zeigen Sie kleinere Bilder. Warum der Wechsel?

Reine Geldgier. Nein, das Großformat stand auch in Relation zu der Schwere der Themen. Es ist wie das Verhältnis von Romanen zu Gedichten. Jetzt mache ich Gedichte, Landschaftsbilder usw.

Unpolitischere Kunst?

Ein radikaler Künstler ist nicht automatisch der, der sich explizit politisch äußert. Darin sehe ich nicht die Qualität von Kunst.