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Archiv-Artikel

JEAN PETERS POLITIK VON UNTEN Fragend stolpern wir nach unten

Über die Kunst, lernend und fragend auf die Fresse zu fliegen, und warum das in Zeiten der Kapitalismuskrise bis zur Excellence kultiviert werden sollte

Politik von unten – was soll’n das sein? Jedes Wochenende in der sonntaz, und ich soll mitschreiben. Na, zumindest wird so das Bild der WochenenderevoluzzerIn nicht gebrochen, die sich vielleicht noch zum Ostermarsch auf die Straße traut, aber sonst schön Kekse backt oder einfach arbeiten geht. Alle paar Wochen also kann ich von unten schreiben. Prima!

Aber mal langsam. Bin ich unten oder was? Weiß, männlich und mittelständisch …? Und wenn ich dann von „grassroots“- Aktionen schreibe, von Protesten der „einfachen Leute“ und Diskussionen an der „Basis“ – ist das dann von unten? Oder manipuliere ich nicht die gesamte Leserschaft Deutschlands über unsere vierte Gewalt, die Medien? Das ist doch ziemlich von oben.

Also dann: MackerInnen, haltet mal die Klappe. Einfach so. EinkäuferInnen, organisiert euch mal, dass bei euch nachhaltiges Zeug auf dem Tisch landet. Liebende, seid nett zueinander und lernt, euch ordentlich zu streiten. Wecker, hört mal auf zu klingeln, und du, Pate, lass das alles mal sein und werde Gärtner oder so.

Ist das nun Politik von unten, was ich da mache? Alle paar Wochen, zwischen Unigehabe und Partys, Demogehüpfe und Aktionstourismus?

Na ja, … ich glaube, Politik von unten, wenn es so was gibt, täte gut daran, nicht mit solchen Schachteln um sich zu werfen, wo ein „unten“, ein „oben“, „links“ oder „rechts“ draufsteht. Vielleicht nicht mal mit solchen Labels, wo MackerIn, KonsumentIn, Liebende oder Mafiaboss draufsteht. Die fragt dann eher. Und beendet ihre Sätze mit Fragezeichen und Doppelpunkten anstelle von Punkten: Es geht ja immer voran und so.

Wie lern ich Veränderung? Üben, üben, üben? Ich weiß es nicht, sonst würd ich schon längst nicht mehr so gern im Stehen pinkeln und alle anderen würden nachhaltig wirtschaften. Ich hätt die Schachtelschlüsselwarte verändert und gemeinsam mit ihr die Schachteln aus unseren Köpfen zum Golfspielen benutzt, bis einer von da oben kommt und uns vom Platz scheucht. Und wir Strafe zahlen. Oder ein Verfahren an den Hals kriegen. Und dann sonntags mit Doppelpunkten angeben.

Ist es das?! Ich lern Veränderung durch Auf-die-Fresse-Fliegen? Aber dann würde sich doch bei denen da oben schon längst viel mehr verändern, oder? Da mach ich doch mal einen aufdiefresseflieg-Workshop. Ganz kostenlos und ohne vorherige Anmeldepflicht. Allerdings mit ganz vielen polizeilichen Auflagen, damit auch von Anfang an alles falsch gemacht wird.

Da gibt es verschiedenste Arten, auf die Fresse zu fliegen: Trittst auf ’ne Bananeschale, stolperst über einen Dackel, legst dich halt ganz klassisch hin. Du kannst auch Anlauf nehmen, ansetzen, wollennichtwollenwollennichtwollen und und und … schon liegst du da. Geschubst werden, ganz böswillig, meist mit bösen Blicken und Blitzen, von stinkenden Menschen mit hässlichen Frisuren. Allerdings renne ich auch gern mal volle Kanne auf ’ne Wand zu und lege mich spektakulär hin, zur allgemeinen Belustigung aller Anwesenden. Oder ganz verspielt, ganz nebenbei auf die Fresse geflogen, wälze ich mich auf den Boden rum und nutze den Moment, um dann Türme aus Matsch zu bauen und Freiheitslieder zu pfeifen.

Kommt ihr alle mit, wollen wir kollektiv scheitern? Au ja, wie die Gruppe „Geld oder Leben“, als der Bundestag besetzt wurde: Da haben sich alle, alle von oben, unten, dazwischen und dahinter, alle haben sich hingelegt und blöde Gesichter gemacht: denn das können sie alle, egal von wo sie fliegen.

Und das ganz kultiviert. Kapitalismuskrisen sind eine ganz eigene Art des Auf-die Fresse-Fliegens. Ein Kunstgriff, kollektiver Bullshit. Von allen, für alle. Ständig steigen PolitikerInnen auf die Bühne und sagen, dass wir alle in der Scheiße schwimmen. Dass wir alles falsch gemacht haben. Und dass wir alle genauso weitermachen müssen wie vorher. Ganz offen wird Widersprüchlichkeit als Lifestyle gepredigt, unser Bewusstsein darüber ist Zeitgeist der Postmoderne. Und dann kommen Europawahlen und die Rechten gewinnen.

Lasst uns, also nun von unten, so was mal anders versuchen und diese bescheuerte Trennung von oben und unten aufheben: ja? Ach Quatsch, einmal noch will ich aufrufen, mit Ausrufezeichen und von oben links: kommt am Samstag nach Berlin zum Flughafen Tempelhof!

Fragend voran: los!

■ Der Autor ist Politikstudent, Kinderclown und Friedensaktivist

Foto: Sylphide Noire