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Archiv-Artikel

Der weiß-blaue Klinsmann

Von Argentiniens neuem Nationaltrainer José Pekerman wird daheim erwartet, dass er nächstes Jahr Weltmeister wird. Zunächst glänzt er vor allem mit Medienpräsenz und ständigem Lächeln

AUS BUENOS AIRESINGO MALCHER

Fußball kann in Argentinien zuweilen eine unschöne Angelegenheit sein. Als José Pekerman im Alter von elf Jahren mit seinem Vater zum ersten Mal im Stadion war, da flog aus dem Fanblock der Boca Juniors ein Messer auf einen Verteidiger von Gastgeber Argentinos Juniors. Die Boca-Fans jubelten. Und als Minuten später der Schiedsrichter einen der Argentinos-Spieler vom Platz warf, da wurde er von den Fans fast aus dem Stadion geprügelt.

Das war im Jahr 1960 und Pekerman war Jahre zuvor aus seinem Dorf in der Provinz zum ersten Mal in die Hauptstadt gereist – mit einem Motorboot. 45 Jahre später ist Pekerman Trainer der argentinischen Nationalmannschaft und weiß, dass auch das nicht immer angenehm ist. „Man hat nie genug Zeit, um mit den Spielern vernünftig zu arbeiten“, beklagt er sich, „deshalb bin ich eher Spieler-Auswähler als Trainer.“

Es ist in der Tat nicht einfach, eine Nationalmannschaft zusammenzustellen, deren meiste Spieler in Europa tätig sind – gut 13.000 Kilometer entfernt vom Trainingslager der argentinischen Nationalmannschaft in Ezeiza, nahe der Hauptstadt Buenos Aires. Dort hat Pekerman die vergangenen Wochen einsam in seinem Büro verbracht und sich auf Videobändern neue Spieler angeschaut. Wenn heute Abend in Düsseldorf das Freundschaftsspiel gegen Deutschland angepfiffen wird, ist mit Torwart Roberto Abondanzieri nur einer dabei, der in Argentinien spielt, der Rest ist bei Clubs in Europa unter Vertrag.

Nationaltrainer von Argentinien zu sein, heißt improvisieren. Dabei ist der Druck enorm. Pekerman wurde im Oktober 2004 als Nachfolger für den zurückgetretenen Marcelo Bielsa als Nationaltrainer berufen, war aber nur zweite Wahl. Pekerman muss eine fast komplett neue Mannschaft zusammenwürfeln, damit zur WM im kommenden Jahr frische Spieler reisen.

Doch so neu ist Pekerman selbst auch nicht. Die jungen Wilden, wie Andrés d’Alessandro, Javier Saviola oder Fabrizio Coloccini kennt er noch aus der U-20-Mannschaft, mit der er 2001 Weltmeister wurde. Dreimal hat Pekerman mit der argentinischen Juniorenmannschaft die Weltmeisterschaft gewonnen. Danach wurde der gelernte Taxifahrer und ehemalige Eisverkäufer in Spanien Sport-Manager, kurze Zeit später aber zum Nationaltrainer berufen.

Doch die Schuhe seines Vorgängers Marcelo Bielsa wirken noch etwas groß für ihn. Bielsa hat mit dem Olympiateam im vergangenen Jahr souverän die Goldmedaille gewonnen und trat dann ab. Unter Bielsa hatte das argentinische Spiel ein starres, aber extrem schnelles System. Der verschwiegene Trainer trieb seinen Leuten den Spieltrieb aus und versuchte, das Rätsel Fußball mit Mathematik zu lösen. Das Ergebnis: Egal wo ein Ball hinfiel, es stand dort immer ein Mann mit blau-weißem Hemd. Pekerman behauptet jetzt, „dasselbe System“ wie Bielsa zu spielen.

Aber irgendwie tut er das doch nicht. Bei ihm ist das Spiel weniger geordnet, die Spieler wirken unkonzentrierter. Zuletzt hat Argentinien in der WM-Qualifikation Venezuela zu Hause denkbar knapp mit 3:2 geschlagen – es war das erste Mal in der Geschichte des argentinischen Fußballs, dass die Venezolaner im Monumental-Stadion überhaupt ins Tor trafen. Trotzdem wird Pekerman zu Hause gefeiert. Anders als Bielsa stellt er sich in den Dienst der argentinischen Fußballindustrie. Bereitwillig gibt er Interviews, setzt sich in Chat-Rooms und lächelt eifrig in Fernsehshows, eine Art weiß-blauer Klinsmann also.

Der Fußball-Zirkus ist Pekerman wohl vertraut. Als Spieler der Argentinos Juniors hatte er 1972 und 1973 zwei sehr gute Jahre, wurde damals sogar in die Nationalmannschaft berufen. Als deren Trainer muss er sich noch beweisen. Und das heißt in Argentinien nichts anderes als Weltmeister werden. Heute Abend würde er gegen Deutschland deshalb am liebsten seine Stars Riquelme, Aimar, Saviola und Crespo zusammen auflaufen lassen, wenn sie gut drauf sind. „Ich träume davon, die Besten zusammenzubringen.“