: Kremlchef Putin hat die Duma fest im Griff
Wie erwartet scheitert ein Misstrauensvotum im russischen Parlament. Die Abgeordneten der Kremlpartei bleiben der Abstimmung fern. Angesichts von Protesten gegen Sozialreformen gerät die Führung jedoch zusehends unter Druck
MOSKAU taz ■ Russlands Regierung bleibt im Amt. Beim gestrigen Misstrauensvotum in der Duma blieben 300 der 450 Abgeordneten der Wahl fern. 136 stimmten dem Antrag der Opposition zu. Eine einfache Mehrheit von 226 Abgeordneten wäre erforderlich gewesen, um die Regierung von Premier Michail Fradkow zu Fall zu bringen. Da die Kremlpartei „Vereinigtes Russland“ mit 300 Deputierten eine komfortable Überlegenheit besitzt, war nicht damit zu rechnen, dass sich der Kreml eigenhändig enthauptet.
Die Initiative zur Vertrauensabstimmung ging auf die Kommunisten zurück, die in der Duma nur noch eine klägliche Rolle als systemkonforme Opposition spielen. Mit auf den Zug sprang „Rodina“ auf, die Partei, die der Kreml vor den Dumawahlen 2003 aus dem Hut zauberte, um den Kommunisten das Wasser abzugraben. Der Vorsitzende, Dimitri Rogosin, versucht, sich durch rechtspopulistische Slogans als potenzieller Erbe Wladimir Putins der bürokratischen Elite anzudienen.
Auslöser für das Unbehagen sind mehrwöchige Proteste von Rentnern, Kriegsinvaliden und anderen Empfängern staatlicher Vergünstigungen, die im Januar von Sach- auf Geldleistungen umgestellt wurden. Seit der Amtsübernahme Putins 2000 hat es dergleichen nicht mehr gegeben: In allen Regionen protestierten fast täglich hunderte und tausende von Demonstranten und blockierten Straßen.
Zunächst reagierte das in der Denkweise des Geheimdienstes verhaftete Machtzentrum nach dem überkommenen Muster. Hinter dem Protest stehen Drahtzieher, die die Aktionen koordinieren. Zunächst waren die Kommunisten schuld, gleichzeitig heizten Abgeordnete eine unappetitliche Antisemitismuskampagne an. Teils um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von den Protesten abzulenken, teils um dem Volk einen Hinweis zu geben. Die wahren Schuldigen seien wie immer dort zu suchen.
Die Taktik verfing diesmal nicht. Die Popularität des Kremlchefs fiel im Januar auf 65 Prozent – mit weiter sinkender Tendenz. Ein Jahr zuvor konnte Putin noch 79 Prozent verbuchen. Da das politische System auf nichts anderem ruht denn auf der Beliebtheit des Kremlchefs, ist 5 Prozent eine alarmierende Marge. Vom Vertrauen der Bürger in die Regierung zu schweigen. Dies bewegt sich um die 10 Prozent.
Dem Kreml blieb nichts anderes übrig, als die Verantwortlichen für die Sozialreformen in den eigenen Reihen zu suchen. Seit Wochen steht der Gesundheits- und Sozialminister Surabow in der Schusslinie. Er mag die Umsetzung mangelhaft betrieben haben, doch er ist nur ein Rädchen im System. Alle Initiativen gehen von Putin aus, der das Gesetz unterzeichnete.
Die Misstrauensdebatte passte dem Kreml daher ins Konzept. Schuldige werden benannt, vielleicht muss auch der eine oder andere Minister den Posten räumen. Am Mangel des Systems, das keine Rückkoppelung zwischen Staat und Bürger zulässt, wird dies nichts ändern.
Nun zeigt sich, dass das zentralisierte Modell den Herausforderungen postindustrieller Reformen nicht gewachsen ist. Noch zögerte die Führung, gegen Rentner und Invalide Gewalt einzusetzen. Doch was passiert, wenn der Druck der Straße wächst? Im Haushalt 2005 sind die Ausgaben für die innere Sicherheit im Vergleich zum Vorjahr um 26 Prozent gestiegen.
Noch befindet sich Russland nicht am Vorabend einer orangenen Revolution wie unlängst die Ukraine. In der Wahrnehmung der politischen Elite stellt sich die Situation bedrohlicher dar. Sie beschäftigt sich damit, die Eigentumsverhältnisse zu ihren Gunsten neu zu ordnen. Die Staatsapparate arbeiten nur noch an einer Frage: Was tun, um die Macht bei den nächsten Präsidentenwahlen 2008 zu behalten. Dafür werden die neuen korporativen Clans aus Wirtschaft und Sicherheitsstrukturen vor allem auf noch repressivere Maßnahmen zurückgreifen.
KLAUS-HELGE DONATH