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: Der Graben bleibt

Die neue Außenministerin der USA, Condoleezza Rice, hat einen erfolgreichen Antrittsbesuch in Europa hinter sich gebracht. Allerorten wird Entspannung vermeldet, gescherzt und Respekt bezeugt. Rice schafft, was Colin Powell nicht gelingen konnte: Durch ihr enges Vertrauensverhältnis mit George W. Bush hat es Gewicht, wenn sie den Rumsfeld-Schmäh vom „alten Europa“ zurücknimmt.

KOMMENTAR VON BERND PICKERT

Nur: Politisch ist Rice keinen Deut von den Positionen abgewichen, die den Graben zwischen Europa und den USA erst haben entstehen lassen. Über Reizthemen verlor sie kein Wort. Ihre Äußerungen zum palästinensisch-israelischen Gewaltverzicht sind verhalten, ebenso zu den europäischen Iran-Initiativen. Und auf die Haltung zu den Vereinten Nationen angesprochen, sagte Rice, die USA müssten „alle Mittel benutzen, die uns zur Verfügung stehen“ – wenn’s passt, eben auch die UNO. Mit exakt dieser Haltung wollten sich die USA den Irakkrieg im Sicherheitsrat absegnen lassen – um ihn, als das nicht gelang, trotzdem zu führen.

Natürlich ist eine US-Regierung, die sich den Verbündeten zuwendet, besser als eine, die mit niemandem mehr spricht. Nur: Die pathetische Beschwörung gemeinsamer Grundwerte – 41-mal benutzte Rice bei ihrer Grundsatzrede in Paris die Worte „free“, „freedom“ und „liberty“ – reicht zur gemeinsamen Politikgestaltung nicht aus. Zumal diese Politik vor allem den Versuch darstellt, die Europäer auf die US-Visionen von der Zukunft des Mittleren Ostens einzuschwören.

Sicher: Die Rolle der Beleidigten können und werden die europäischen Regierungen nicht spielen. Rice trifft auch hier auf eine Bereitschaft zum Neuanfang, verbunden mit ein bisschen Hoffnung, vielleicht zukünftig doch ernst genommen zu werden, und sei es nur, weil die USA sich schon mit dem Irak militärisch überhoben haben. Die Europäer täten jedoch gut daran, endlich aus der Schreckstarre über Bushs Wiederwahl zu erwachen und selbst initiativ zu werden. Gerade wenn sie ernst genommen werden wollen, können sie nicht weitere vier Jahre lediglich im Misstrauen gegenüber den US-Plänen verharren.

Aber wo ist die europäische Alternative zu Bushs Nahostpolitik? Wo sind die diplomatischen Initiativen, die Deutschlands Streben nach einem Sitz im Weltsicherheitsrat einen Sinn gäben? Nur Meckern reicht nicht, genauso wenig wie Charme und Scherzchen mit „Condi“ Rice.

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