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Archiv-Artikel

Genie der Komödie

Auch im hohen Mannesalter noch der zappelige Junge von einst: Jerry Lewis in der American Academy in Berlin

Jerry Lewis hat „ungefähr 600.000 Antworten parat“. Aber hat Berlin so viele Fragen? Es ist der Donnerstagvormittag in der American Academy. Ein gemischtes Publikum aus Intellektuellen, Journalisten und TV-Prominenz hat sich eingefunden zu einem Gespräch mit dem legendären amerikanischen Komiker. Jerry Lewis trägt ein gelbes Hemd, leicht orientalisch anmutende Slipper und ein Jackett mit goldenen Knöpfen. Breitbeinig sitzt er im Fauteuil. Im Showbiz spricht man von „Q & A“ – das Ritual von Questions and Answers besteht in Wahrheit aus Stichworten und Routine.

Lewis ist ein Professional, der am Vorabend eine Goldene Kamera bekommen hat, worüber er sich immer noch freut. Es war immerhin eine Übergabe „von einer Chaplin an einen Lewis“ – Geraldine Chaplin hat die Trophäe überreicht, die er nun, am Morgen danach, noch einmal herzeigt. Er spielt immer noch den zappeligen Jungen, der in den Fünfziger- und Sechzigerjahren in Komödien mit Dean Martin, später solo den Slapstick aus dem amerikanischen Wirtschaftswunder heraus neu erfunden hat. Mit Dean Martin bestand eine klare Aufgabenteilung: Für Sex war der Kollege zuständig, Jerry Lewis sorgte für die Komik. „Er war die Liebe meines Lebens.“ Dieses Geständnis bezieht sich auf die Welt des Kinos, im richtigen Leben ist Jerry Lewis heterosexuell und Vater von acht Kindern, von denen das jüngste eine Tochter namens Danielle ist. So viel zur natürlichen Erbfolge. Im Kino sieht er nur einen Sachwalter: „Robin Williams! Er ist das Genie der Komödie. Und Jim Carrey. Er ist vermutlich der beste visuelle Komiker in hundert Jahren.“

Ein Gentleman erhebt sich aus dem Publikum und stellt sich als Nick Platt vor, Vater von Oliver Platt, dem Regisseur von „Funny Bones“, in dem Jerry Lewis eine Altersrolle hatte. „Sie haben ein prächtiges Kind gemacht“, ruft Lewis und wird für eine (professionelle) Sekunde von einer Danielle-Emotion überwältigt. Mehr als 599.000 Antworten bleiben an diesem Morgen in Reserve. Sie werden nicht abgerufen, weil die dazugehörigen Fragen dem Protokoll einer derartigen Veranstaltung nicht entsprechen. Sie wären wohl zu „französisch“, wie Jerry Lewis über die Nation lästert, deren Cinephile ihn zum Kultkomiker der Intelligenz erkoren haben.

Ein junger Mann stellt dann doch noch eine Frage, auf die Lewis nur eine knappe, dann aber gar keine Antwort hat. Was hat es mit dem Film „The Day the Clown Cried“ auf sich? Werden wir ihn jemals sehen? „Er wird niemals herauskommen. Das ist ein Thema, über das ich nicht spreche.“ Lewis spielte in diesem Film einen Zirkusclown in einem Lager, den die Nationalsozialisten dafür bezahlten, die Kinder zu unterhalten, bevor sie in den Tod mussten.

„The Day the Clown Cried“ ist keine Komödie, auch wenn Roberto Benigni sich davon inspirieren ließ. Was immer Lewis damals versucht hat, es hat nicht den Eindruck, als hielte er es für gelungen. Hat er sich zu weit auf das Feld der Politik gewagt? „Ich mische mich in die Politik nicht ein, ich bin doch schon ein Komödiant.“ BERT REBHANDL