: Freimokka für die Wähler
AUS RIAD KARIM EL-GAWHARY
Bin Laden sei Dank, dass in Saudi-Arabien Wahlen stattfinden. Zumindest Saad al-Dusari, der täglich in der reformfreundlichen Tageszeitung al-Riad Kolumnen schreibt und über jeden Vorwurf den militanten Islamisten nahe zu stehen vollkommen erhaben ist, lässt keinen Zweifel daran, wem das Land sein erstes demokratisches Experiment zu verdanken hat. „Ich habe einen Freund, der sagt, man solle Bin Laden eine Statue errichten, da er es war, der unabsichtlich die Türen zu Reformen aufgemacht hat, in dem er die saudische Regierung gezwungen hat, sich zu öffnen.“
Stetig war denn auch der Wählerstrom in der Al-Rayan-Schule im zweiten Wahlbezirk Riads. Besonders nach dem Gebet hatte sich der Saal vor der Turnhalle mit dutzenden Männern gefüllt, die ihren Personalausweis abgaben und dann geduldig warteten, bis sie an der Reihe waren.
Parteien sind in Saudi-Arabien verboten, oder wie es Abdel Karim al-Sayek, der Wahlleiter der Schule, formuliert: „Die Leute sind aufgerufen, den zu wählen, der ihrem Stadtviertel am besten dient, politische Zugehörigkeiten gibt es nicht“.
Hajj Mohammed Abu al-Kheir zählt so um die 80 Jahre, sein genaues Alter weiß er nicht. Er gehe zum ersten Mal in seinem Leben wählen: „Das gefällt mir“, lacht er und kratzt sich an seinem mit Henna gefärbten Bart. Er würde es jederzeit noch mal tun, wenn Gott sein Leben entsprechend verlängere, sagt er. Vom Frauenwahlrecht hält der Alte indes wenig. „Die hätten doch keinen Verstand, wie könnten sie denn wählen gehen“, lautet seine eindeutige Meinung dazu.
Das sieht nicht jeder Wähler so: „Wir dürfen ein Bezirksparlament wählen, das die Macht hat, darüber zu entscheiden, welche Lampen in der Straße aufgehängt werden, und selbst da werden die Hälfte der Abgeordneten von oben bestimmt“, sprudelt es dann vor den Toren der Schule ärgerlich aus Abu Mohammed heraus. Außerdem sei es überhaupt nicht einzusehen, warum seine Töchter nicht wählen dürfen, Frauen machten schließlich die Hälfte der Bevölkerung aus. „Und Wahlen für ein nationales Parlament, das wirklich Entscheidungen treffen kann, wird es nicht in 200 Jahren geben“, fügt er hinzu. Wenn überhaupt, dann geschehe hier nur etwas durch internationalen Druck.
Aber wer solle das übel nehmen. „Immer wenn die Amerikaner Druck machen, gibt ihnen unsere Regierung ein paar Fässer Öl mehr, und schon sind sie still“, fasst er zusammen. Warum er überhaupt zur Wahl gekommen ist? Abu Mohammed grinst: „Um aller Welt zu zeigen, dass wir Wahlen lieben und mehr davon haben wollen“, lautet seine Antwort.
Bayern als Vorbild
Tatsächlich war in den Tagen vor dem Volksvotum in Riad so etwas wie Wahlfieber aufgetreten. Es gab genug Kandidaten, die über die Lampen in den Straßen entscheiden wollten. Über 600 allein in Riad, nur sieben werden am Ende einen der Plätze im Stadtparlament erhalten. In der Tageszeitung al-Hayat wird der Witz erzählt, wie einer der Kandidaten Aladins Wunderlampe findet und an ihr reibt, bis der Flaschengeist herauskommt. Der erfüllt seinem Meister jeden Wunsch, erstellt billige Häuser und schafft Arbeitsplätze für alle. Nur einen Wunsch kann er nicht erfüllen: dem verzweifelten Kandidaten einen der begehrten Sitze im Kommunalparlament zu verschaffen. Das, entschuldigt sich der Geist, schafft nicht einmal ein Dschinn.
Abdel Rahman Ben Hamid al-Humeidi wollte sich ohnehin nicht auf einen Flaschengeist verlassen. In den Tagen vor dem Urnengang hatte er heftig Wahlkampf betrieben. Ähnlich wie in Bayerns Bierzelten um die Gunst der Wähler geworben wird, hatten es al-Humeidi und die anderen Kandidaten in Riad mit einem großen arabischen Zelt versucht. Selbstverständlich alkoholfrei, wurden in al-Humeidis Zelt Mokka, die Rezitation von arabischer Poesie, ein wenig Wahlprogramm und zum Höhepunkt des Abends große Tabletts mit Reis und Lammfleisch angeboten. Dazwischen küsste der 53-jährige Akademiker über 2.000 Wangen und schüttelte tausend Hände. Die Atmosphäre im Zelt war ausgelassen.
„Dieser ganze Wahlkampf ist wie eine große öffentliche Hochzeit“, erklärte der Kandidat zufrieden. Hier werde nicht nur sein Wahlprogramm, sondern der Beginn des demokratischen Experiments gefeiert, sagt er. Er habe über 100.000 Dollar für seinen Wahlkampf ausgegeben. Es sei ihm nicht so wichtig, ob er gewinnt oder verliert, gibt er vor, „das Wichtige ist es, diesen Prozess zu unterstützen“, meint der Professor für Management an der King Saud Universität in Riad. Am Anfang hätten sich nur wenige Wähler registriert, sagt er. Viele hatten zunächst nicht genau gewusst, wie die Wahl vonstatten geht, und wenig Interesse gezeigt. Doch als die Kandidaten dann mit ihren Zelten, per Internet und Fernsehinterviews an die Wähler traten, stieg das Interesse, und so mancher ärgerte sich, sich nicht in die Wahllisten eingetragen zu haben.
Dem Studenten Bandar al-Gumai macht die ganze Angelegenheit jedenfalls sichtlich Spaß. Er war von Zelt zu Zelt gezogen, um sich zu erkundigen, was die einzelnen Bewerber anzubieten hatten, bevor er sich in al-Humeidis Zelt niederließ, um dort kostenlos zu Abend zu essen. Der 23-Jährige wünscht sich vor allem, dass mehr für die Jugend unternommen wird.
Riad gilt im islamisch konservativen Land als noch konservativere Hochburg. „Schön wäre es, wenn einmal ein paar Kinos eingerichtet würden“, erklärt er vorsichtig seinen Wählerwunsch. Die sind bisher vom wahhabitischen religiösen Establishment als teuflische Institutionen verboten. Aber al-Gumai ist zuversichtlich, dass sich die Dinge in seinem Land ändern werden, wenngleich langsam. „Diese Wahlen sind ein erster toller Schritt“, meint er. „Bei der nächsten Wahl dürfen wir vielleicht schon Zweidrittel der Abgeordneten wählen, und dann sind vielleicht auch Frauen dabei, schließlich sind die schon jetzt überall in hohen Geschäftspositionen zu finden.“
Tatsächlich hat die Regierung angekündigt, dass bei den nächsten Wahlen 2009 auch Frauen dabei sein werden. Offiziell hat man sich diesmal mit logistischen Problemen herausgeredet. Viele Frauen besäßen keinen Personalausweis. Und außerdem sei es schwierig, einen geordneten Wahlgang zu organisieren, in dem Männer und Frauen, fein säuberlich getrennt, zu den Urnen schreiten.
Aber Mohammed Quwaihes, ein Mitglied des bisher vom König bestimmten Schura-Rats aus Mekka, beschreibt das Ganze als Vorsichtsmaßnahme. „Wir wollen erst einmal sehen, wie Leute auf diese Wahlen reagieren. Da wollten wir nicht auch noch die in der konservativen Gesellschaft explosive Frage des Frauenwahlrechts angehen“, argumentiert der Ingenieur.
Die Islamisten gewinnen
Das ist ein Teil des Dilemmas des ganzen sehr vorsichtigen und langsamen politischen Reformprozesses in Saudi-Arabien. Der Kandidat al-Humeidi beschreibt diese Zwickmühle, wenn er über seine Chancen spricht, gewählt zu werden. „Ich habe keinen großen Stamm hinter mir, und ich lasse nicht meine Religiosität heraushängen, wahrscheinlich steuere ich auf eine peinliche Wahlniederlage zu“, lacht er.
Tatsächlich werden es aller Voraussicht nach nicht die liberalen Reformer sein, die seit Jahrzehnten Wahlen fordern, die von einer politischen Öffnung des Landes profitieren. In einer gewählten saudischen Volkskammer dürfte eine Allianz aus Islamisten und konservativen Stammesführern das Sagen bekommen. So ist es zum Beispiel auch im Nachbarland Kuwait. Im dortigen Parlament wurden die liberalen Reformer von den traditionsbewussten Stammesfürsten und den Islamisten an den Rand gedrängt. So ist die absurde Situation entstanden, dass undemokratische Institutionen Neuerungen einführen wollen, die von den demokratischen Institutionen blockiert werden.
„Natürlich besteht die Gefahr, dass Konservative in die Institutionen gewählt werden, wir sind eine konservative Gesellschaft“, glaubt auch der Kolumnist al-Dusari. Aber das sei kein Argument gegen politische Reformen und könne sich bei den nächsten oder übernächsten Wahlen ändern, hofft er.
Aber auch der Reformer sagt, dass man die Demokratisierung vorsichtig angehen müsse. „Wir Saudis sind mit dem Konzept aufgewachsen, dass jemand sagt, tu dies und mach jenes. Wenn man uns drei Jahre lang dazu erziehen würde, im Auto Sicherheitsgurte anzulegen, hätte das nicht den gleichen Effekt, wie wenn wir gesagt bekommen, ab morgen ist der Gurt Pflicht“, erklärt er. Aber nach wenigen Jahren würde man verstehen, was es heißt, als Bürger Verantwortung zu tragen. Man brauche sich nichts vorzumachen, diese Kommunalwahlen seien nur ein begrenztes Experiment. „Aber trotzdem. Es ist das erste Anzeichen für das Entstehen einer Demokratie.“