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Archiv-Artikel

Die hilflose Supermacht

Die Bush-Regierung hat Nordkorea gegenüber kein realistisches politisches oder militärisches Konzept. Sie agiert nur ideologisch

VON SVEN HANSEN

US-Außenministerin Condoleezza Rice hat gestern mit einer Warnung auf Nordkoreas bisher deutlichstes Eingeständnis reagiert, das Land sei im Besitz von Atomwaffen: „Wenn das tatsächlich der Fall ist, dann verstärkten die Nordkoreaner nur noch ihre Isolation, denn allen … ist klar, dass es keine Atomwaffen auf der koreanischen Halbinsel geben darf.“

Ob Nordkoreas Isolation jetzt wirklich noch weiter zunimmt, hängt vor allem von Peking ab. Chinas wirtschaftliche Unterstützung ist überlebenswichtig. Bisher stützte Peking Nordkorea, weil es den Zusammenbruch des Nachbarn und daraus resultierende Flüchtlingsströme unbedingt vermeiden will. Die USA drängten Peking bisher vergeblich, mehr Druck auf Nordkorea auszuüben. Sollten die Chinesen jetzt zum Ergebnis kommen, dass Nordkorea in der Tat Atomwaffen hat und nicht nur blufft, könnte China den Druck erhöhen. Doch dies dürfte nach den bisherigen Erfahrungen Nordkoreas Führung kaum schrecken. Schon während der Hungersnot in den 90er-Jahren zeigte das Regime, dass es zum Erhalt des Systems bereit ist, Millionen eigener Bürger zu opfern.

Ein Abrücken Chinas von der Unterstützung Nordkoreas würde allerdings das Scheitern der bisherigen Nordkorea-Politik der US-Regierung von George W. Bush kaschieren. Denn bisher agierte diese US-Regierung gegenüber Pjöngjang ohne Konzept und vor allem ideologisch geprägt. Für die Neokonservativen glich die unter Clinton verfolgte Nordkorea-Politik, die das Plutoniumprogramm gegen Öllieferungen und den Bau von Leichtwasserreaktoren einfror, einem „Appeasement“. Im Kongress und Senat torpedierten die Republikaner die von der Clinton-Regierung in Aussicht gestellte Aufnahme diplomatischer Beziehungen und einen Nichtangriffspakt.

Die Bush-Regierung ließ nie einen Zweifel daran, dass für sie das einzige Ziel „regime change“ lautet. Abkommen, die eine Belohnung eines als erpresserisch gewerteten Verhaltens Nordkoreas beinhalten, lehnte die Bush-Regierung kategorisch ab und unterstrich dies mit einer Rhetorik, die Nordkorea zur „Achse des Bösen“ zählte. Doch die US-Strategen hatten nicht mit der Unverfrorenheit der Nordkoreaner gerechnet. Die wähnen sich propagandistisch längst im Krieg mit den USA. Mit US-Drohungen kann das Regime leichter umgehen als mit konstruktiven Angeboten aus Washington.

Der Bush-Regierung aber kam der im Oktober 2002 offen ausgebrochene Konflikt mit Pjöngjang zeitlich ungelegen. Denn Washington war mit dem Regimewechsel im Irak beschäftigt. Bushs Falken setzten darauf, dass das irakische Beispiel Pjöngjang zum Nachgeben zwingen würde. Stattdessen dürfte das Gegenteil der Fall sein. Pjöngjangs Lehre aus dem Schicksal Saddam Husseins ist vielmehr, dass dieser noch an der Macht wäre, hätte er Atomwaffen gehabt. Band der Irakkonflikt viel länger die US-Truppen als gedacht, übersah Washington auch, dass die Zeit für Nordkorea arbeitet. Denn je länger die USA Nordkorea nicht realistisch militärisch drohen können, desto mehr Zeit hat Pjöngjang, wirklich Atomwaffen zu entwickeln. Glaubten manche Kreise lange, Nordkorea wolle sich sein Atompotenzial nur möglichst teuer abhandeln lassen, so bietet sich mit zunehmender Dauer Pjöngjang die realistische Option, wirklich über solche Waffen zu verfügen.

Bushs Strategen merkten auch zu spät, dass sie keine realistische militärische Option haben. „Chirurgische“ Schläge gegen Nordkoreas Atomanlagen sind zweifelhaft, weil deren unterirdische Standorte zum Teil nicht bekannt sind. Dafür kann das hochgerüstete Regime den grenznahen Großraum der südkoreanischen Hauptstadt Seoul, wo 40 Prozent der südkoreanischen Bevölkerung leben, mit konventioneller Artillerie zerstören, ganz abgesehen von seinem auf Japan zielenden Raketenpotenzial. Bereits 1994 kam das US-Militär in einer Studie zum Ergebnis, bei einem Krieg würden binnen 90 Tagen 50.000 Amerikaner und 500.000 Südkoreaner sterben.

Im Herbst 2003 schien auch Bush zu dämmern, dass er Nordkorea für einen Verzicht auf Atomwaffen Angebote machen muss. Doch seine Angebote sind vage, das Misstrauen Nordkoreas größer denn je und Bush noch längst nicht zu einem Kurswechsel bereit. Denn das hieße, dass die Nordkorea-Politik von Clinton und Kim Dae Jung die einzig richtige Richtung wies: dem in der Tat verbrecherischen Regime eine Bestandsgarantie zu geben und ansonsten mit Angeboten dafür zu sorgen, dass es sich öffnet, wandelt und so dem chinesischen Beispiel folgt.