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Archiv-Artikel

Erklären muss das Opfer

GRUPPENVERGEWALTIGUNG Das Landgericht verhandelt die Berufung von fünf Männern, die eine widerstandsunfähige Frau vergewaltigt haben sollen. Nur das Opfer sagt aus

Es sind keine sozial Gestrandeten, die hier sitzen: Alle haben einen Schulabschluss

VON FRIEDERIKE GRÄFF

Die Angeklagten schweigen, und deswegen ist es allein das Opfer, das von Gericht und Verteidigern befragt wird. Ob sie tatsächlich kein Bier getrunken habe, ob sie ihr Kind tatsächlich das ganze Wochenende bei seinem Vater habe lassen wollen, zu welchem Zweck sie auf den Kiez gegangen sei, wird Maria M. gefragt. Die fünf Angeklagten sind in Berufung gegangen gegen ein Urteil, nach dem vier von ihnen wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person für drei und in einem Fall für zwei Jahre und drei Monate ins Gefängnis müssen. Ein Angeklagter sollte wegen unterlassener Hilfeleistung eine Geldstrafe zahlen.

Es ist das Recht der Angeklagten, zu schweigen und die Aussagen von Maria M. weichen teilweise tatsächlich von denen in der ersten Instanz ab. Dennoch ist es nicht ganz leicht, mit anzusehen, dass das Opfer ungleich exponierter vor Gericht ist als die Angeklagten. Der Jüngste von ihnen ist 22, der älteste 34 Jahre alt, sie sind im Anzug oder Hemd gekommen. Es sind keine sozial Gestrandeten, die hier sitzen: Alle haben einen Schulabschluss, die meisten eine Anstellung, als sie die damals 18-jährige Maria M. im Juni 2007 auf dem Kiez treffen. Die lebte damals mit ihrem kleinen Sohn in einer Mutter-Kind-Einrichtung, an dem Abend wollte sie mit einer Freundin ausgehen. Nach ihrer Darstellung traf sie die Angeklagten in einer Nebenstraße, wo sie ihr ein Getränk anboten. Sie habe nur einen kleinen Schluck genommen, danach könne sie sich nur noch erinnern, dass sie mit dem Männern in einem Taxi saß und nach ihrer Freundin fragte. „Nix da Freundin“ oder „Scheiß’ auf deine Freundin“, habe man ihr geantwortet. Danach setze ihre Erinnerung aus, bis sie am nächsten Morgen in der Klinik aufgewacht sei.

Was dazwischen passiert ist, ergänzt ein Zeuge. Ein junger Mann, der auf einem Balkon am Grindelberg feierte, als er sah, wie ein Mann in einer Gruppe eine Frau ein Stück weit trug, dann, so sagt er, neben sich mitschleppte. Ihr Kopf habe herunter gehangen, sie habe nicht selbstständig gehen können. Als die Gruppe mit ihr in einem Gebüsch verschwand, rief er die Polizei. Die fand, so hat es das Amtsgericht protokolliert, einen der Männer neben der Frau kniend mit Kondom auf dem Geschlechtsteil vor, einer zog sich die Hose hoch, ein anderer stand dort mit geöffneter Hose. „Ich habe nichts gemacht“, sagt ein weiterer. Drei Packungen Kondome liegen daneben auf dem Boden.

Bereits im ersten Prozess haben sie die Aussage verweigert, nun reizen ihre Anwälte das prozessrechtliche Instrumentarium aus so weit es geht. Sie stellen einen Antrag auf Ablehnung der Kammer, weil sie nur mit zwei Berufsrichtern besetzt ist – das Gericht lehnt ab. Später beantragen sie die Ablehnung des medizinischen Gutachters. Dann soll die Aussage des Opfers wortgetreu protokolliert werden.

Und wieder einmal wird klar, dass Erinnerungen trügerisch sind: Wie viel gilt die Aussage des Opfers vor der ersten Instanz, dass sie bewusst gut gegessen habe, um Alkohol besser zu vertragen? Und dass sie nun sagt, sie trinke kaum etwas. Was zeigt es, dass Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Aussage, sie habe eine halbe Flasche Wodka getrunken, erst nach sechs Stunden einvernehmlich auf eine 0,2 Liter-Flasche beziehen? Das Urteil wird nicht davon abhängen, das ist die einzig gute Nachricht aus diesem Prozess.