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Lust auf Gewalt

Die junge japanische Autorin Akira Kuroda erzählt in ihrem Roman „Made in Japan“ von einer verlorenen Generation voller Selbstzweifel

VON KOLJA MENSING

Das hier ist kein Buch, das man seiner Schwiegermutter oder der kleinen Schwester zum Geburtstag schenken sollte. „Made in Japan“, das nur zur Warnung, ist ein Roman mit expliziten Gewaltdarstellungen, die ohne Probleme das Niveau von „American Psycho“ erreichen. „Hi, kids! Do you like violence“, eröffnet die japanische Autorin Akira Kuroda das erste Kapitel lässig mit einer Zeile von Eminem, nur um dann vier gelangweilte Teenager vorzuführen, die es sich vor dem Fernseher mit einem so genannten Kiddy-Porno der übelsten Sorte gemütlich gemacht haben. Ein kleiner Junge wird von zwei Erwachsenen vergewaltigt und umgebracht: „Unter der kreischenden Kettensäge hörte man leise seine Schreie.“

Wer über die ersten, doch etwas irritierenden Seiten hinwegkommt, erfährt, dass Shu, Takashi und die anderen zu den „kikokusijyo“ gehören, den japanischen Jugendlichen also, die infolge des wirtschaftlichen Booms in den Achtzigerjahren im Ausland aufgewachsen sind. Ihre Väter sind gut bezahlte Manager, Ingenieure und Diplomaten, die in die USA oder nach Europa geschickt wurden, und sie selbst fühlen sich als „eine Herde Kinder, die von ihren Eltern quer durch die Welt geschleift wurden“.

Sie leiden darunter, dass sie nicht einmal ihre eigene Muttersprache richtig beherrschen, vermengen englische oder spanische Einsprengsel mit abgerissenen japanischen Sätzen zu einem hybriden Slang und können mit ihrem Heimatland wenig anfangen: „Ist doch Tatsache, dass wir weder eine Geschichte noch Landesgrenzen haben. Es ist nämlich egal, wo wir sind: Wir fahren Skateboard, schmeißen Trips und glotzen MTV.“

Made in Japan“, das mit dem renommierten Bungei-Preis ausgezeichnet wurde, ist also nicht einfach nur einer der vielen, ein bisschen schockierenden Romane, die in der Nachfolge von „American Psycho“ entstanden sind. Akira Kuroda, Jahrgang 1977, beschreibt mit kaltem Blick die Selbstzweifel einer „lost generation“, deren Angehörige Ende der Neunzigerjahre nach dem Ende des Booms als Teenager nach Japan zurückgekehrt sind und ein zerstörtes Land vorgefunden haben. Die Seifenblase der japanischen Wirtschaft war geplatzt und das Selbstbewusstsein der Sony-Nation war durch die Giftgasanschläge der Aum-Sekte oder das Erdbeben von Kobe erschüttert worden. „Made in Japan“ galt längst nicht mehr als Gütesiegel für Unterhaltungselektronik, sondern war zu einer beliebigen Herkunftsbezeichnung geworden: „Wir sind eigentlich zu nichts nutze. Außer ein paar Sprachen können wir nämlich gar nichts.“

Also schaut Takashi Snuff-Videos, Satoru finanziert seinen aufwändigen Lebenswandel mit dem Verkauf von Drogen, und Shu kämpft mit den traumatischen Erlebnissen aus der Zeit, die er als kleines Kind in einem amerikanischen Suburb verbracht hat – während Shin allein und von seinen Eltern vergessen in einem Apartment lebt und seinen Lebensüberdruss pflegt. Gelegentlich führen sie gelangweilte Telefongespräche oder streiten sich an der Skateboard-Rampe im Park. Irgendwie sind sie befreundet, aber näher als bei einem Beinahe-Fick auf der Herrentoilette von McDonald’s kommen sie sich nie.

Erst nach dem verstörenden Abend mit dem Snuff-Video gerät ihre unterkühlte Gefühlswelt außer Kontrolle und das Gefühl der Verlorenheit schlägt zunächst in Selbsthass und dann in einen beispiellosen Gewaltexzess um. „Du willst doch sterben“, stellt Takashi fest, als Shin über sein nutzloses Leben jammert: „Ich kann das für dich erledigen.“ Die letzten vierzig Seiten des Romans gehören darum einer brutalen Folterszene. „Ich kann den Knochen sehen“, berichtet Takashi– „das perverseste Schwein von uns vieren“ – Shu per Handy vom Fortgang der Dinge: „Ich versuche, meinen Finger in die ausgehöhlte Schnittwunde zu stecken.“

Offenbar ist die steigende Gewaltbereitschaft unter Teenagern tatsächlich ein Symptom der Krise innerhalb der japanischen Gesellschaft. Insbesondere in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre kam es zu einer bedrückend hohen Zahl von Morden, die von Jugendlichen begangen wurden, darunter auch die Enthauptung eines 11-jährigen Schülers in Kobe. Splatter Movies wie „Battle Royal“, ein Film, der vor einiger Zeit auch in deutschen Kinos zu sehen war, nehmen Bezug auf das Phänomen, und Akira Kurodas Roman dürfte auch vor diesem Hintergrund zu einem Erfolg geworden sein: „Made in Japan“ wurde im Original mehr als 120.000-mal verkauft und löste heftige Debatten aus.

Vermutlich hat das provozierende Buch über diesen Skandal auch die Aufmerksamkeit des Maas Verlags in Berlin erreicht. Das allerdings ist keinesfalls verwerflich. Japanische Gegenwartsliteratur oder gar „junge Literatur“ hat es in Deutschland ungeheuer schwer. Neben ein paar Fantasy-Titeln sind die Romane des 1949 geborenen Haruki Murakami und der mittlerweile vierzigjährigen Banana Yoshimoto das Aktuellste, was man derzeit aus Japan zu lesen bekommt – beides durchgesetzte Bestsellerautoren, deren neue Werke selbst von ihren früheren Fans nicht mehr mit großer Spannung erwartet werden. Ein Buch wie „Made in Japan“ ist da eine willkommene Abwechslung, zumindest wenn man starke Nerven hat. Vielleicht kommen irgendwann ja auch neue Bücher für Schwiegermütter und kleine Schwestern.

Akira Kuroda: „Made in Japan“. Aus dem Japanischen von Martina Berlin. Maas Verlag. Berlin 2004. 152 Seiten, 16 Euro

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