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Archiv-Artikel

„Wie ein Wanderzirkus“

„One Day in Europe“ (Wettbewerb) spielt an dem Tag, als Galatasaray Istanbul und Deportivo La Coruña in Moskau gegeneinander antreten. Ein Gespräch mit dem Berliner Regisseur Hannes Stöhr

Interview CRISTINA NORD

taz: Herr Stöhr, Sie haben „One Day in Europe“ in vier Städten mit vier je unterschiedlichen Ensembles gedreht – war das in logistischer Hinsicht nicht ein Riesenaufwand?

Hannes Stöhr: Die Logistik war Programm. Nachdem wir acht Tage in Santiago de Compostela gedreht hatten, ging am Samstagmorgen die Technik nach Moskau. Wir sind hinterher geflogen, kamen am Sonntag in Moskau an und haben am Mittwoch weitergedreht – an einem Stück, sechs Tage. Kaum hatten wir abgedreht, ging die Technik nach Istanbul, wir flogen hinterher und drehten weiter. Das war ein Höllenritt.

Ohne Pannen?

Das Drehbuch war auf Machbarkeit hin geschrieben. In Moskau zum Beispiel ist die Technik im Zoll hängen geblieben. Dass solche Dinge passieren können, war uns klar. Wir waren darauf vorbereitet und hatten eine zweite Drehbuchvariante. Probleme hat man immer, entscheidend ist, ein gutes Team zu sein. Wir waren ein gutes Team – manchmal kamen wir uns vor wie ein Wanderzirkus.

Standen die vier Schauplätze von Anfang an fest? Oder haben Sie auch an andere Städte gedacht, an Palermo meinetwegen oder Edinburgh?

Die Frage war doch: Wie will ich Europa beleuchten? Es war klar, dass es ein Film über Europa werden sollte, nicht über die europäische Gemeinschaft. „One Day in Europe“ kann man mit „Ein Tag in Europa“ oder „Eines Tages in Europa“ übersetzen. Darin steckt eine Utopie. Heute mögen die United States of Europe zwar noch fern sein, aber in 20, 30 oder 50 Jahren werden sie kommen. Und Moskau und Istanbul werden dann eine Rolle spielen. Wer einmal in Istanbul war, weiß, warum es zu Europa gehört.

Viele der Schauspieler sind zwar bekannt, wirkten aber trotzdem sehr unverbraucht. Andere Gesichter waren für mich ganz neu – Megan Gay zum Beispiel, die Darstellerin der englischen Kuratorin. Wie haben Sie gecastet?

Auf die Hälfte der Schauspieler war das Drehbuch geschrieben: auf Boris Arquier, Miguel de Lira, Erdal Yildiz, Florian Lukas und Rachida Brakni. Diese fünf hatte ich beim Schreiben immer vor Augen, Miguel zum Beispiel ist ein uralter Kumpel von mir, und Erdal kenne ich noch aus dffb-Zeiten. Die anderen – Megan Gay, Péter Scherer, Luidmila Tsvetkova – waren gecastet, da habe ich wie immer mit Karin Wendtland zusammengearbeitet. Die meisten der spanischen Darsteller waren Freunde; Megan wiederum kannte ich nur vom Sehen, aus dem White Trash und der Brunnenstraße; sie wohnt ja auch in Berlin.

Michael Haneke hat mal gesagt, dass ihm Feinheiten entgehen, wenn er Dialoge auf Französisch inszeniert. Wie ist das, wenn man nicht nur in einer, sondern gleich in mehreren Fremdsprachen dreht?

Da ich in Galizien gewohnt habe, verstehe ich Spanisch und Gallego. Ich weiß, was Miguel mir anbietet und was daran der Witz ist. Wenn Erdal Yildiz in Istanbul Schwäbisch spricht, habe ich auch kein Problem. Beim Französischen sieht es schon schlechter aus, ich habe so ein Räuberfranzösisch. Aber wir haben bei den Proben vieles durchgesprochen. Ich habe erklärt, was ich erzählen will, und gemeinsam mit den Schauspielern haben wir die Dialoge mundgerecht gemacht.

Es gibt viel Trennendes in „One Day in Europe“: die Sprachschwierigkeiten, das ständige Umrechnen der Währungen. Wie sehen Sie das Verhältnis von Einigendem und Unvereinbarem im Film?

Ich wollte einen Film der kleinen Augenblicke drehen, die Poesie des Alltags entdecken. Vielleicht aus der Sehnsucht heraus, das Gegenteil von „Berlin is in Germany“ zu machen: Das war die Geschichte von einem Mann, der die Wende im Knast erlebt hat. Er kommt zurück, die Welt hat sich verändert, klassischer Dreiakter, ein Racheplot, fast eine griechische Geschichte. Das ist wie eine gerade Linie. Jetzt habe ich diesen Multiplot, das ist das genaue Gegenteil – als würde ich Pünktchen tupfen, die zusammen ein Bild ergeben. Ein Bild vom sich verändernden Europa mit all seinen Gegensätzen, aber eben auch mit den Gemeinsamkeiten.

Zugleich gibt es viele Parallelen zu „Berlin is in Germany“ – dass sich die Figuren wie in einer Blase bewegen, wie abgetrennt von der jeweiligen Gegenwart und der Umgebung. Das gilt zum Beispiel für die Engländerin in Moskau, die einerseits sehr souverän auftritt, andererseits wie eingekapselt wirkt.

Martin Schulz aus „Berlin is in Germany“ kommt nach elf Jahren Gefängnis zurück, und alles wirkt fremd auf ihn. In „One Day in Europe“ sind die Hauptfiguren Reisende in einem fremden Land. Mich interessiert der naive, unverstellte Blick. Dem Zuschauer wird es leicht gemacht, sich mit den Figuren zu identifizieren und die Welt aus ihren Augen zu sehen. Durch diesen Blickwinkel kann ich die Städte zu Hauptdarstellern machen und die kleinen Momente herausarbeiten. Wenn man so will, dann ist der naive, der kindliche Blick ja auch der clowneske Blick.

Und wie haben Sie den touristischen Blick vermieden?

Ich habe versucht besondere Drehorte zu finden, genaue Figuren und spezielle Momente zu erzählen. In Berlin wohne ich, in Galizien habe ich gewohnt, in Istanbul habe ich viele Freunde, die ich besucht habe – in diesen drei Städten habe ich mich sehr sicher gefühlt. In Moskau ist es mir am schwersten gefallen, die Stadt zu greifen, obwohl ich sie ein paarmal besucht habe.

Bis zu einem bestimmten Punkt arbeiten Sie mit Klischees: Es gibt verschlagene Russen, einen spanischen Don Juan und bornierte Franzosen. Trotzdem hatte ich nie den Eindruck, dass Sie Klischees bedienen. Was haben Sie getan, um die Balance zu halten?

Ich gehe immer von Menschen und von Beobachtungen aus. 90 Minuten dauert der Film. Wenn man sich überlegt, was alles in dieser kurzen Zeit passiert, dann wird man merken, dass bestimmte Klischees beim Erzählen helfen. Interessant wird es aber erst, wenn man beginnt, die Nuancen zu sehen und die Klischees zu brechen. Ich glaube, das ist das, was Spaß macht. Ich empfinde die beiden Franzosen im Film übrigens gar nicht so borniert.

Sind die Klischees nötig für die Komik?

Na ja, manchmal haben sie ja auch eine Wahrheit. Wenn Florian Lukas in Istanbul auf der Polizeiwache landet und dort diesem Beamten begegnet, hat man ja schon das Gefühl: „Florian, hast du Glück, dass du Tourist bist.“ Dann steht Florian auf und sagt: „Wenn du mich noch einmal anfasst, dann haue ich dir eine aufs Maul.“ Darauf stellt sich der Polizist hin und sagt: „Hitler, Hitler.“ Jeder kennt das: Man ist im Ausland, und in der blödesten Situation wird einem Hitler an den Kopf geworfen. Was soll man da sagen? Es ist zwar ein Klischee, aber es ist auch die Wahrheit.

Im Film ist es eine gute Pointe.

Das soll ein Film ja herstellen: dass man lachen kann über Momente, über die man, wenn man sie erlebt, nicht lachen würde. Ich bin jetzt sehr gespannt, wie das Publikum in den jeweiligen Ländern reagiert. Es ist ja eine Burleske, und jedes Land kriegt etwas ab. Aber ich habe auch versucht, Behutsamkeit walten zu lassen. Ich bin schließlich Gast. Zu viel Schabernack wäre unfreundlich.

„One Day in Europe“: 12. 2., 16 Uhr, CinemaxX 7, 22.30 Uhr, Berlinale Palast; 13. 2., 15 Uhr, Urania; 20. 2., 9.30 Uhr Urania