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Archiv-Artikel

Triumph des Willi

Es tut so weh! Die schönsten Dichter-Anekdoten der Welt – jetzt mit echten Kalauern

Eines vorgerückten Abends wurde sogar Goethe zum Gegenstand des Spottes

Hoch her ging es im „Elephanten“ zu Weimar, wenn sich die dortige Gelehrtenrepublik zum gemeinsamen Klassiker-Zechen zusammenfand. Eines vorgerückten Abends wurde – was höchst selten der Fall war – Goethe (1749–1832) zum Gegenstand des Spottes. Insbesondere wegen seiner nebulösen Beziehung zu Frau von Stein sah sich der Dichter aufs Provokanteste geneckt. Als sich das allgemeine Gestichel immer mehr auf die Frage konzentrierte, ob die beiden denn nun oder ob nicht, beendete der übel gelaunte Geheimrat, der soeben die dritte Flasche Mosel verkostet hatte, das frivole Gefrotzel mit der Bemerkung: „Steter Tropfen höhlt die Stein.“ Die Erwartung der Zecher-Runde, Johann Wolfgang von Goethe werde sich nun detaillierter über die Stein des Anstoßes äußern, wurde enttäuscht.

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Als finanziell stets klamm und berüchtigter Schnorrer erfreute sich der Dichter Hermann Bahr in der Kaffeehausszene des Wiener Fin de Siècle eines zweifelhaften Rufes. Fast schon rhetorisch war deshalb auch die rituelle Frage des altehrwürdigen Zahlkellners Theodor, welche die Abende im „Café Central“ beschloss: „Zahlen Sie, Bahr, oder nicht?“ Der spitzzüngige Feuilletonist Karl Kraus und sein Intimfeind Anton Kuh lagen im Dauerstreit, wer von ihnen beiden den Begriff „bahrgeldlos“ geprägt habe. Es war aber Peter Altenberg.

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Für seine große Toleranz und seinen unermüdlichen Einsatz für Meinungsfreiheit bekannt war der Romancier Alfred Andersch („Die Kirschen der Freiheit“), jedoch auch für einen gelegentlichen Hang zu Halsstarrigkeit, Rechthaberei und Besserwisserei. So auch in einer hitzigen Diskussion mit seinem Kollegen Martin Walser, in der es um die Rolle der KPD in der Weimarer Republik im Allgemeinen und die von Rosa Luxemburg im Speziellen ging. „Jaja, schon gut“, lenkte Walser irgendwann genervt ein, „wer sollte sich bei dem Thema besser auskennen als du, hat die Luxemburg doch gesagt: Freiheit ist ‚immer nur Freiheit des andersch Denkenden‘!“

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Nach einer Lesung mit Max Frisch ließ sich ein Verehrer ein Buch signieren und erkundigte sich bei der Gelegenheit schüchtern, wie der nächste Roman des Schweizer Autors heißen werde. „Stiller“, sagte Frisch. Flüsternd wiederholte der Fan seine Frage.

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Nicht verhehlen konnte Günter Grass seine Freude über die ihm endlich doch noch zuteil gewordene Zuerkennung des Literatur-Nobelpreises, dessen Verleihung in Stockholm er zu einem tagelangen Triumphszenario ausgestaltete, dessen Höhepunkt seine Dankesrede war. Den vor Stolz berstenden Ausführungen Grassens lauschend, beugte sich die schwedische Königsgattin Silvia zu ihrem Ehemann Carl Gustaf herüber und gab ihre Eindrücke mit den Worten „Man kann den Grass wachsen hören“ wieder.

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Wieder einmal hockten der Lyriker Thomas Gsella und sein Kollege Oliver Maria Schmitt beisammen, die Biergläser leerten, der Aschenbecher füllte sich, und besprachen dies und das – unter anderen den Dichter Durs Grünbein. Als es endlich ans Zechezahlen ging, zagte Schmitt zähneknirschend: „Da haben wir ja ganz schön einen über den Durs getrunken.“ Gsella schrieb sich den vielleicht mal verwendungsfähigen Kalauer noch im Lokal ins Notizbuch.

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Bei Demonstrationen pflegte der Arbeiterdichter Willi Bredel (1901–1964) forsch an der Spitze des Zuges vorneweg zu marschieren. Bereitwillig ließen ihm seine Genossen den Vortritt und vertrauten sich seiner Führung an, wussten sie doch von dem ehemaligen Metalldreher: Wo der Willi ist, da ist auch der Weg.

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Eine vielköpfige Kinderschar kam im Laufe der Jahre im Haushalt des Physiognomikers Johann Kaspar Lavater zusammen. Goethe, der auf einer seiner Italienreisen Station am Zürichsee bei Lavater machte, beobachtete einige Zeit das überbordende Treiben der hyperaktiven Lavater-Sprösslinge, studierte eingehend die Mitleid erregende Physiognomie seines gestressten Gastgebers und murmelte dann, sich erschüttert abwendend: „Lavater werden ist nicht schwer, Lavater sein dagegen sehr.“ Leicht abgewandelt wurde dieser Ausspruch, wie bei Goethen üblich, zum geflügelten Worte.

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Eine der sonderbarsten und rätselhaftesten Gestalten der deutschsprachigen Literaturgeschichte ist zweifellos der tragische Heinrich von Kleist, in dessen Leben, bei dem ihm laut Selbstauskunft nicht zu helfen war, vieles widersprüchlich und unerklärlich ist. Nur ein kleines Beispiel: Kleist ist bekannt dafür, dass er nicht nur gute, sondern auch viele Anekdoten geschrieben hat, ja, Kleist ist nachgerade der deutsche Anekdotenschreiber schlechthin. Allein – und dies ist das Rätsel: Über Kleist selbst gibt es keine Anekdoten. Nicht eine einzige. Kein Wort. Nirgends. THOMAS SCHAEFER