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Archiv-Artikel

Der Entdecker

AUSSTELLUNG Herbert Tobias begann mit dem Fotografieren als 19-Jähriger an der Ostfront, wurde in den 50er Jahren zum Starfotografen und starb 1982 verarmt in Hamburg. Sein Werk im Überblick zeigen derzeit die dortigen Deichtorhallen

Die frühen Jahre

Herbert Tobias kam am 14. Dezember 1924 als Sohn eines Büchsenmachers in Dessau zur Welt. Er wollte Schauspieler werden.

■ 1942 wurde Tobias nach einer Tätigkeit als Landvermesser von der Wehrmacht eingezogen.

■ 1951 zog er mit seinem Freund Dick auf der Flucht vor dem Paragraphen 175 nach Paris.

■ 1954 hatte er in Berlin seine erste Einzelausstellung.  (kli)

VON KLAUS IRLER

1953 war das Jahr, in dem Konrad Adenauer zum ersten Mal als Bundeskanzler wiedergewählt wurde. Volkswagen senkte 1953 den Preis für den VW Käfer von 4.400 auf 4.200 D-Mark. Auf Platz Eins der Deutschen Hitparade stand René Carol mit „Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein“. Und in Paris kam Samuel Beckets Theaterstück „Warten auf Godot“ zur Uraufführung.

Der Fotograf Herbert Tobias war 1953 in Paris. Er war 28 Jahre alt, hatte unter anderem Klaus Kinski fotografiert und einige Selbstportraits mit der Kamera gemacht: Tobias, wie er mit blonder Perücke, geschminkten Augen und Damenkleidern entrückt ins Nichts blickt. Tobias, wie er auf einer Decke liegt, mit Tränen auf der Wange, das Gesicht umgeben von Blättern.

Zu sehen sind diese Bilder derzeit in der Herbert Tobias Retrospektive „Blicke und Begehren“ in den Hamburger Deichtorhallen. Das Jahr 1953 taucht in der Ausstellung nicht explizit, aber immer mal wieder auf: Zu sehen sind rund 200 Exponate aus der Produktion eines Künstlers, der mit 19 Jahren als Soldat in Russland anfing zu fotografieren, in den 50er Jahren Modefotograf wurde und in den 60er Jahren unter anderem Nico entdeckte. Ab 1969 lebte er in Hamburg, wo er 1982 in Armut starb. Sein Grab auf dem Hauptfriedhof Hamburg-Altona wurde 2007 vom Hamburger Senat zum Ehrengrab erklärt.

1953 war Herbert Tobias von staatlichen Ehren sehr weit entfernt. Fotos mit schwuler Ästhetik hatten damals keinen Platz in Deutschland. Der Paragraph 175 des deutschen Strafgesetzbuches stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. Bis zu zehn Jahre Zuchthaus waren in „erschwerten Fällen“ möglich. Herbert Tobias war schwul – und er lebte seine Sexualität offen.

Paris verließ er trotzdem wieder, als seine Karriere als Modefotograf in Gang kam. 1953 erschienen erste Fotos von Tobias in der Zeitschrift Vogue. Er ging nach Berlin und machte durch seine unkonventionellen Arbeiten auf sich aufmerksam. Während andere Modefotografen das Wirtschaftswunder feierten, konfrontierte er die neue Lust am Wohlstand mit den Wunden des Krieges. Die 50er Jahren waren finanziell die lukrativste Zeit in Tobias’ Berufsleben.

Die künstlerische Qualität seiner Fotos allerdings war dabei nicht an die Modefotografie gebunden. Es gibt beispielsweise ein Foto von der Ostfront, auf dem Tobias eine Statue mit weggeprengten Armen so ablichtet, als wäre sie ein Mensch. Da gibt es Bilder von Kindern, die 1954 auf den Straßen Berlins vor den Trümmerhaufen des Krieges spielen – Tobias’ Variante einer Straßenfotografie, die nicht nur dokumentiert, sondern auch erzählt. Es gibt auch Bilder, auf denen Trinker am Wirtshaustisch zusammengesackt sind. Und Bilder, in denen es um Homosexualität geht, die sich in der rigiden Adenauer-Ära vor allem durch Blicke ausdrückt: Junge Männer sind da fotografiert, die ihre Erotik in ihren Gesichtsausdruck legen. Immer tiefgründig. Immer ohne Körpereinsatz.

Die Ausstellung in Hamburg zeigt Tobias’ Werk nicht chronologisch, sondern geordnet nach thematischen Sektionen. „Trümmer - Kinder - Mauerbau“ heißt eine, „Blicke“ eine andere, dann kommen „Momente des Glücks“, „Das Lied von der sexuellen Hörigkeit“ oder auch „Florale Ornamente“. Diese Konzeption lenkt die Aufmerksamkeit auf die jeweiligen Bildideen – und lenkt damit ab vom Leben des Herbert Tobias. Nicht der Künstler, seine Kunst soll hier im Mittelpunkt stehen. Seine Kunst gibt das her, keine Frage. Der Künstler aber hätte es auch hergegeben.

Tobias hört in den 1960ern auf mit der Modefotografie. Geld interessiert ihn nicht sonderlich, dafür will er „sich selbst so weit verwirklichen als möglich“. Tobias entdeckt die junge Christa Päffgen, die später als Nico auf dem Debütalbum von Velvet Underground singt. Er hat ein unglückliches Liebesverhältnis mit Andreas Baader, den er Anfang der 1960er Jahre vermutlich in einem Schwulenlokal kennen lernt – Baader, schreibt sein Biograf Klaus Stern, „spielte gern damit, dass Schwule sich in ihn verliebten, um sie dann mit lässiger Geste ins Leere laufen zu lassen“.

Ende der 1960er, nach Jahren des exzessiven Lebens, war Herbert Tobias krank und pleite. Pali Meller Marcovicz, der bei der Plattenfirma Deutsche Grammophon arbeitete, holte ihn 1969 nach Hamburg. Er besorgte ihm eine Wohnung und gab ihm Arbeit als Gestalter von Plattencovern.

Tobias fotografierte in Hamburg in den 1970er Jahren außerdem für die Schwulenzeitschrift Him Applaus. Er war jemand, der seine Ledermontur auch anzog, wenn er morgens zum Bäcker ging. Einer, der so leben wollte, wie er war, radikal in Sachen Selbstverwirklichung, exaltiert, ein „hoch politischer, strenger, fordernder Mensch“, sagt Ingo Taubhorn, Kurator der aktuellen Ausstellung. Tobias forderte nicht nur viel von seiner heterosexuellen, sondern auch von seiner homosexuellen Umwelt. In einigen Hamburger Schwulenbars hatte er Hausverbot.

Tobias starb 1982 im Alter von 57 Jahren in Folge von Aids. Er starb arm und bekam ein Armengrab auf Hauptfriedhof in Altona. Im Jahr 2007 hätte das Grab eingeebnet werden sollen, so sehen es die Statuten vor. Aber es gab eine Initiative um den Autor Bernhard Rosenkranz: Sie alarmierte die Fotoreferentin der Hamburger Kulturbehörde, Juana Bienenfeld. Die wandte sich an den Friedhof und dieser an die Senatskanzlei. Tobias’ Grab wurde erhalten – und 2007 zum Ehrengrab erklärt.

Herbert Tobias – Blicke und Begehren. Bis 16. August, Hamburg, Deichtorhallen