: Szenen eines Urlaubs
HIPPEN EMPFIEHLT: „Alle anderen“ von Maren Ade - ein Kammerspiel im mediterranen Ferienhaus mit Menschen, die eher ans Leben als an andere Filme erinnern
VON WILFRIED HIPPEN
Wenn man im Kino beginnt darüber nachzudenken, dass man genau solche Menschen wie die auf der Leinwand auch kennt und in ähnlichen Situationen erlebt hat – dann hat der Film bereits gewonnen. Und genau diese Wirkung hat der Spielfilm „Alle anderen“ von Maren Ade, in dem von nichts anderem erzählt wird als von einem Paar, das während eines gemeinsamen Urlaubs eine Krise durchlebt.
Der Architekt Chris verbringt den Sommer zusammen mit seiner Freundin Gitti im Ferienhaus seiner Eltern auf Sardinien. Die beiden beginnen die Rollen, die sie im Verhältnis zueinander eingenommen haben, zu hinterfragen, nachdem sie ein befreundetes Paar treffen, das im konventionellen Sinne die Erwartungen perfekt erfüllt.
Er ist im Beruf erfolgreich, sie unterstützend und schwanger, während Chris selbst sowohl beruflich wie auch in der Beziehung zutiefst verunsichert ist und Gitti ihn mit ihrer spontanen, forschen Art eher fordert als umsorgt.
Zwei Stunden sehen wir dem Paar dabei zu, wie es die verschiedenen komprimierten Phasen seiner Beziehung durchläuft und es ist einer der bemerkenswerten Qualitäten des Films, dass er dabei bis zum Schluss die Intensität und Spannung durchhält.
Der Film ist ein Kammerspiel im mediterranen Ferienhaus, bei dem die Kamera ungewöhnlich intim mit den beiden Protagonisten wird und das Spiel von Birgit Minichmayr und Lars Eidinger so spontan und glaubwürdig wirkt, dass es unmöglich ist zu erkennen, was da Improvisation vor der Kamera und was mit virtuoser Präzision umgesetzter geschriebener Dialog ist.
Maren Ade ist es gelungen, den für einen Urlaubsaufenthalt typischen Situationen (wie einem Grillabend mit Bekannten oder einer Wanderung durch die Hügel) jeweils einen dramaturgisch interessanten Dreh zu geben, und manchmal merkt man dann doch, wie pointiert die scheinbar dahingesagten Dialoge letztlich sind.
Doch am wirkungsvollsten wird in den Nuancen erzählt. Darin etwa, wie verletzt Gitti Chris ansieht, wenn dieser vor den anderen Partei gegen sie ergreift oder was sich in seinem Gesicht anspielt, wenn er ihr einmal ins Dorf folgt und sieht, wie anders sie sich ohne ihn in einem Café gibt. So etwas gelingt nur, wenn ein Film mit großen Einfühlungsvermögen und einer klugen Liebe zu den Charakteren gemacht wird.
Ihr nicht nur im deutschen Film außergewöhnliches Talent bewies die 32-jährige Maren Ade schon in ihrem ersten langen Spielfilm „Der Wald vor lauter Bäumen“, in dem sie von einer jungen, heillos überforderten Lehrerin erzählt, die vom Typ her übrigens der Gitti sehr ähnlich ist. Diese Fernsehproduktion aus dem Jahr 2003 kam nach überraschenden Erfolgen auf internationalen Festivals (wie dem Jury Award des US-amerikanischen Sundance Festivals) auch in die Programmkinos.
„Alle Anderen“ ist nun ihr zweiter Langfilm, und er wurde auf der Berlinale gleich mit zwei silbernen Bären (Jurypreis und beste Darstellerin) ausgezeichnet. Minichmayr schien auf dem Festival allgegenwärtig zu sein, denn sie war dort auch in „Der Knochenmann“ von Wolfgang Murnberger zu sehen.
In Berlin wurde übrigens auf der Pressekonferenz lange darüber diskutiert, ob dieses Paar „eine Chance habe“ oder „eh bald auseinander gehen“ würde. Ausgekochte Journalisten nahmen da die Filmfiguren so ernst, als wären sie aus Fleisch und Blut. Ein größeres Kompliment konnte es für Maren Ade kaum geben.
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