piwik no script img

Archiv-Artikel

„Fetische fungieren als Denk-Ersatz“

D‘Annunzio als Vorreiter des Lifestyle-Journalismus: Für seinen Film „D‘Annunzios Höhle“ (Forum) besuchte Heinz Emigholz mit vier Filmteams das Haus des Dichters, um den Wahnsinn von innen spürbar zu machen. Ein Gespräch mit Heinz Emigholz über seinen Film und die Ästhetisierung des Politischen

INTERVIEW HARALD FRICKE

taz: Herr Emigholz, der Film „D‘Annunzios Höhle“ trägt den Untertitel „Lifestyle als Autobiographie“. Soll damit die Eitelkeit des berühmten italienischen Schriftstellers sichtbar gemacht werden?

Heinz Emigholz: Wenn es das nur wäre, Eitelkeiten könnte man ja einfach ignorieren. D'Annunzio ist aber der Gründer des Lifestyle-Journalismus, und der ist heute noch oder wieder so aktuell und grauenhaft in seinen Auswirkungen wie vor dem Ersten Weltkrieg.

Neben der Höhle ist auch von „Architektur als Grab“ die Rede. Liegt es daran, dass sich d'Annunzio am Gardasee schon zu Lebzeiten ein Mausoleum eingerichtet hat?

Eine Computerstimme zitiert zu Anfang des Films Adolf Loos: „Wenn wir im Walde einen Hügel finden, sechs Schuh lang und drei Schuh breit, mit der Schaufel pyramidenförmig aufgerichtet, dann werden wir ernst, und es sagt etwas in uns: Hier liegt jemand begraben. Das ist Architektur.“ Das ist natürlich eine ironische Finesse, zu der d'Annunzio gar nicht fähig wäre. Der meinte tatsächlich, dass er die Bedeutung behält, die er sich selbst zugeschrieben hatte. Auch diesen Irrtum teilt die „moderne“ Kunst mit ihm. Wie schön, dass die Flick-Ausstellung jetzt zur Aufklärung dieses Sachverhalts beigetragen hat.

Das Haus ist für Ihr Projekt von vier verschiedenen Filmemachern in einer „Jam-Session“ dokumentiert worden. Wie kam es zu dieser Teamarbeit?

Ich hatte 1997 angefangen, die Villa auf 35-mm-Film aufzunehmen, das Projekt dann aber abgebrochen, weil die räumliche Enge und die von d'Annunzio inszenierten Lichtverhältnisse, die ich dokumentieren wollte, den Einsatz der 35-mm-Technik unmöglich machten. Das Haus ist heute ein Museum, und man kann nur am wöchentlichen Ruhetag drehen. Ich wusste aber, dass ich mindestens vier Drehtage benötige. Also haben wir an einem Montag im Juni 2002 einen Drehtag gemietet, sind mit vier DV-Kameras erschienen und haben gleichzeitig raumversetzt gedreht. Die Mitstreiter, Irene von Alberti, Elfi Mikesch und Klaus Wyborny, sind Filmemacher, deren Arbeit ich schätze. Dreizehn Stunden Material sind so entstanden, aus dem ich dann mit Jörg Langkau den vorliegenden Film zusammengepuzzelt habe.

Sonst benutzen Sie in Ihren Filmen oft stillstehende Bilder ohne Schwenks. Hier kriecht die Kamera förmlich in Gegenstände und Räume hinein.

„Hineinkriechen“ ist gut gesagt. Den Wahnsinn von innen spürbar machen, war die Aufgabe. Vorgabe bei diesem Film war es, die Dinge durch Kamerabewegungen miteinander zu verbinden. Wir haben nicht recherchiert, welche Bedeutungen d'Annunzio ihnen verleihen wollte, sondern uns von ihren Oberflächen leiten lassen.

Durch die Kameraführung und den Einsatz von Musik entsteht eine große Nervosität. Kommt man damit dem Charakter des kokain- und heroinsüchtigen Dichters näher?

Gezeigt wird ein innerer Raum, der quasi tomografiert wird. Der Film macht vielleicht im Nebenbei klar, wozu die Macht schon immer Drogen nötig hatte. Die gestohlene und von d'Annunzio in Schichten neu arrangierte Sammlung aller möglichen Kunstobjekte wird zum ausgelagerten „Gehirn“, das seine Gedanken und Assoziationen in Form von Fetischen preisgibt. Musik und Geräusche treten nur auf, wenn sie die Story dieses Gehirns wesentlich vorantreiben.

Der Film zeigt im Haus ein Sammelsurium aus Kitsch und Reliquien, während im Garten Torpedoboote und ein Panzerschiff zu finden sind. Wieso wird d'Annunzio als Militaria-Fetischist nicht zum Thema?

Da wäre doch jeder Filmpark ergiebiger. Mich interessiert das Innere, seine Behausung, sein Lifestyle als geschmackspolizeiliche Anstrengung. D'Annunzio ist der Vorreiter einer Bewegung, in der Fetische, kultureller Diebstahl und inszenatorische Raffung als Denk-Ersatz fungieren. In jeder Generation gibt es Vertreter dieses Genres. Man wäre gerne Lenin, natürlich ganz unverbindlich, aber ein bisschen Willkürherrschaft, wenigstens auf dem Spielplatz Kunst, muss schon dabei sein. Das nennt sich dann „politische Kunst“ und ist doch nur die Ästhetisierung des Politischen. D'Annunzio ist das Urbild dieser Spezies. Unsere Promis sollten vor Scham erröten angesichts des Niveaus, auf dem er seine Verbrechen, die auch die Ihren sind, vorgezeichnet und betrieben hat.

Auch der Faschismus bleibt seltsam ausgespart, nur auf der elektronischen verfremdeten Tonspur ist manchmal von d'Annunzios Herrenrassedenken die Rede.

Die Räume seiner Villa sind in meinem Film von Geistern bewohnt. Sie haben keine menschlichen Stimmen, sondern maschinelle: „Bill“ und „Christiane“ von Logox, „Girl“ und „Peedy“ von Lesefix Pro, und wie sie alle heißen. Sie übersetzen jeden Text, mit dem man sie füttert, in das mechanisch-gefühlvolle Kauderwelsch eines leidenschaftslosen Geredes. Sie führen durchs Haus, zitieren D'Annunzio, Mussolini, amerikanische Filmproduzenten, aber auch Leon Laleau und Joseph Conrad als indirekte Counterparts d'Annunzios. Die Stimmen beschreiben und verdammen, ausgespart bleibt nichts. Sie führen den Dichter und seine Inszenierungen ad absurdum.

Kann man die Ideologie des Schriftstellers von den Interieurs abkoppeln?

Nein, seine innenarchitektonischen Anstrengungen vertreten seine Ideologien adäquat. Bric-a-brac, faschistischer Ideologien-Cocktail, Rassismus, Männerbündlerei, Frauenopfer, Nationalismus, Repräsentationsgeilheit – die Mischung ist „altes“ Europa pur.

Für d'Annunzio sollte sein Anwesen „nicht fettes Erbe leblosen Reichtums, sondern nacktes Erbe unsterblichen Geistes“ sein. Haben Sie diesen Geist in der Architektur gefunden?

D'Annunzio ist kein Architekt, sondern Dekorateur, dazu unsterblich humorlos. Die so genannte Moderne besteht aus ähnlich repräsentativem Plunder wie sein Beutelager. Es bedeutet alles und nichts zugleich. Die futuristische Feier der Geschwindigkeit kommt bei d'Annunzio runter auf die Zurschaustellung des verbogenen Lenkrades eines Motorbootes. Es hatte sich 1930 Sir Henry Segrave in die Brust gebohrt und ihn dabei getötet. D'Annunzio hatte Segrave überredet, mit dem Boot einen Geschwindigkeitsrekord einzufahren. Solche Fetische zu filmen war ein Akt der Analyse. Ich bin froh, dass ich sie hinter mir habe.

„D’Annunzios Höhle“, 14. 2., 19.30, Arsenal; 15. 2., 18 Uhr, Cinemaxx 3