: WOZ that?
Tabubruch als pragmatische Entscheidung: Die Schweizer „Wochenzeitung“ (WOZ), seit 1981 im Kollektiv erfolgreich, leistet sich auf einem historischen Höchststand von 110.000 LeserInnen erstmals eine Redaktionsleitung
Tabubruch? „Nein“, sagt Esther Banz. Eine kleine Revolution? „Auch nicht“, sagt Esther Banz. Die Schweizer Wochenzeitung (WOZ) sei immer noch ein Kollektivbetrieb. Darauf besteht Banz. Nur: Das WOZ-Kollektiv hat entschieden, und zwar kollektiv, eine Redaktionsleitung einzuführen. Die Gewählten, Esther Banz (34) und Susan Boos (41), haben seit dem 1. Februar die Geschäfte übernommen.
„Bei uns war es schon immer so, dass sich die Strukturen der WOZ-Redaktion an die Bedürfnisse der WOZ-Redaktion angepasst haben“, sagt Banz. Die Gründe für die Anpassung: Im Gründungsjahr 1981 arbeiteten 10 Mitarbeiter bei der Zeitung, heute sind es 50 – bei einem Jahresumsatz von 3,8 Millionen Franken. Und mittlerweile hat die WOZ eine verkaufte Auflage von 13.417 Exemplaren – ein historischer Höchststand. Auch wenn es die WOZ-Redaktion schmerzt, dass ihre insgesamt Zeitung von weit mehr Schweizern gelesen, aber nicht abonniert wird – nämlich von insgesamt 110.000 Lesern.
Nach dem Relaunch des Blattes 2003, mit neuen Ressorts wie „Wissen“, „Wirtschaft“ und „Leben“, folgt nun also der „Relaunch“ der Organisationsstruktur mit einer Minihierarchie. Banz und Boos sollen die Redaktionsabläufe verbessern, sie sollen inhaltliche Debatten koordinieren und über Neueinstellungen entscheiden (wenn auch nur mit einer von vier Stimmen). Festgelegt ist aber auch, was die Redaktionsleiter nicht dürfen. Sie bestimmen nicht über den Zeitungsinhalt – „wie eine Chefredaktion“, heißt es in einem Brief der Redaktion an ihre Mitarbeiter. Und sie entscheidet nicht allein über Personalfragen – „wie eine Chefredaktion“.
Nein, eine Chefredaktion wollten sie nicht. „Für unsere Betriebskultur wäre es kontraproduktiv, eine totale Machtinstanz zu installieren“, sagt Banz. Also fungieren die Redaktionsleiter „wie eine Exekutive, die sich gegenüber dem Volk, also der Redaktion, verantworten muss“, erklärt Boos. Heißt: Die Redaktion kann die beiden Verantwortlichen jederzeit wieder abwählen. So werden Boos und Banz trotz neuer Funktion nicht mehr verdienen als die anderen Redakteure: Der Einheitslohn (3.900 Franken brutto) bleibt weiterhin erhalten. Und beide bleiben im „normalen“ Redaktionsalltag verhaftet: Boos mit der Hälfte ihrer Stelle im Inlandsressort, Banz im Ressort „Leben“.
Die ersten beiden Wochen nach der Wahl haben Banz und Boos vor allem mit Sitzungen zugebracht. Um das neue Modell auszutarieren. Banz sagt realistisch: „Die einen in der Redaktion wünschten sich eine richtige Chefredaktion, die anderen überhaupt keine Leitung – da werden wir es nicht allen recht machen können.“ Das haben Chefs so an sich. THILO KNOTT