: „Pendler haben profitiert“
Der Volmer-Erlass hat illegale Einwanderung verringert, sagt Migrationsexperte Jörg Alt. Inzwischen habe die Mehrheit der Visumbesitzer Deutschland wieder verlassen
taz: Herr Alt, in einem offenen Brief an den Visa-Untersuchungsausschuss schreiben Sie, der Volmer-Erlass habe dauerhafte illegale Einwanderung eher verhindert als befördert. Wie das?
Jörg Alt: Der Erlass hat es vielen Menschen ermöglicht, zwischen ihrem Arbeitsort in Deutschland und ihrem Herkunftsland zu pendeln. Dadurch haben die Migranten nicht den Heimatbezug verloren und waren viel eher dazu bereit, zurückzukehren, als bei der derzeitigen restriktiven Praxis. Jetzt haben sie viel zu große Angst, dass sie nicht zurückkommen können, und bleiben lieber gleich in Deutschland.
Durch den Volmer-Erlass sollen bis zu 200.000 Menschen mehr aus der Ukraine eingereist sein. Stimmt diese Zahl, oder wurden die Pendler mehrfach gezählt?
Diese 200.000 Visa bedeuten überhaupt nicht, dass so viele Menschen nach Deutschland gekommen sind. Ein großer Teil von ihnen ist ein- und wieder ausgereist. Es gibt zum Beispiel Familien, bei denen drei Personen hin und her pendeln und sich so einen Arbeitsplatz in Deutschland teilen.
Die Klausel „im Zweifel für Reisefreiheit“ hat Schleusern in die Hände gespielt. War der Erlass nicht doch zu offenherzig?
Die Diskussion wird auf Schleuser reduziert. Dabei dürfen wir nicht die Augen davor verschließen, dass illegale Einwanderung ein Fakt ist – mit oder ohne Volmer-Erlass.
Es geht aber auch um organisierte Kriminalität. Wo hört die Offenheit auf?
Ich bestreite nicht, dass es mafiöse Strukturen gibt. Aber die Bedeutung wird aufgebauscht. Die meisten Illegalen sind die angepasstesten, unauffälligsten Mitbürger, die man sich vorstellen kann: Sie putzen Wohnungen und pflegen alte Menschen.
War die Einführung der Reiseschutzpässe ein Fehler?
Alle Versicherungen sind sinnvoll, die vermeiden, dass Einwanderer hilflos werden oder dem Steuerzahler zur Last fallen. Doch wurde gerade mit den Reiseschutzpässen viel Schindluder getrieben.
Wie kann der Visamissbrauch verhindert werden?
Nie ganz. Denn in einer globalisierten Welt, in der es um den Austausch von Waren und Wissen geht, wird es immer auch Leute geben, die diese Möglichkeiten für sich ausnutzen. Wir können allerdings das Risiko, das so etwas passiert, verringern. Eine restriktivere Einwanderungspolitik taugt dazu jedenfalls nicht.
Was dann?
Die meisten Illegalen sind Arbeitsmigranten. Wir müssen also beispielsweise diskutieren, wie wir die Schattenwirtschaft in Deutschland bekämpfen können. Es muss legale Arbeit geschaffen werden.
INTERVIEW: SASCHA TEGTMEIER