Pseudonym statt Edelfeder

Nackte Texte in Zeitschriftenlayout oder neue Zielgruppen für darbende Zeitungen: Mit „Opinio“ startet die „Rheinische Post“ das erste Printmagazin, das ausschließlich Leserkommentare abdruckt

VON PEER SCHADER

„Mann, war das ein Gewürge, bis das alles lief“, beschwert sich Padrone aus Düsseldorf-Oberbilk über die Mühe, den bestellten DSL-Anschluss einzurichten. Ivmin aus Krefeld freut sich riesig, weil er gerade Papa geworden ist, während Boniro über „Chaos beim U2-Vorverkauf“ klagt: „Warteschlangen vor den Ticket-Shops, besetzte Hotlines und lahm gelegte Internetserver.“ Seit Dezember darf im Internet-Forum der Rheinischen Post jeder aufschreiben, was ihn bewegt – und mit anderen registrierten Mitgliedern unter Pseudonym Meinungen, Tipps und Alltagsgeschichten austauschen.

Das Besondere daran: Die besten Beiträge verschwinden nicht einfach nach ein paar Wochen im Internet-Nirwana, sondern werden abgedruckt – und zwar gleich 400.000-mal. So hoch ist die Auflage von Opinio, einer Zeitschrift, die komplett aus Leserkommentaren besteht und ab heute 14-täglich der Rheinischen Post und anderen Zeitungen der Rheinisch-Bergischen Verlagsgesellschaft beiliegt.

„Hier schreiben Sie“, steht auf dem Titel des Magazins, das keine Redakteure hat, sondern bloß Moderatoren, die Online-Beiträge fürs Heft heraussuchen und mit den Nutzern Kontakt halten. „Consumer-generated Media“ heißt das im Medienfachdeutsch – und ist ein weiterer Versuch, neue Zielgruppen für die darbenden Zeitungen zu gewinnen.

Öffentlichkeit als Honorar

„Wir müssen aus der Starrheit herauskommen, die uns das Konzept einer regionalen Tageszeitung vorgibt“, erklärt Andreas Berens, Kommunikationschef der Rheinischen Post. Nicht an die ganz jungen Internetnutzer, sondern vor allem an meinungsfreudige 30- bis 39-Jährige richtet sich das gedruckte Forum. Dabei will Opinio mehr sein als eine verlängerte Leserbriefspalte: Die Autoren sollen sich als Teil einer Gemeinschaft fühlen. Jeder, der sich online anmeldet, erteilt dem Verlag vorab eine Blanko-Genehmigung für die eventuelle spätere Veröffentlichung.

Honorare zahlt die Rheinische Post für den Abdruck nicht. Berens: „Die Autoren bekommen eine große Öffentlichkeit – für viele ist das die Motivation.“ Gegen den Verdacht, hier werde bloß auf ausgesprochen preiswerte Weise eine Beilage mit Texten gefüllt, wehren sich die Macher: „Bei Opinio geht es um eine völlig andere Sichtweise. Warum immer nur die Edelfedern und nicht mal den Verbraucher selbst ranlassen?“, fragt Ex-Gruner+Jahr-Manager Carsten Schütte von der Hamburger Firma Boogie Medien, der die Idee zu Opinio mitentwickelt hat.

Lifestyle-lastige Mischung

Wahrheitsgehalt und Nachprüfbarkeit von Fakten und Behauptungen in den Textbeiträgen machen der Rheinischen Post ebenso wenig Sorgen wie die Möglichkeit, dass sich, wenn jeder schreiben darf, was er will, mühelos ein PR-Beitrag einschleusen ließe: „Dieses Problem gibt es bei allen interaktiven Medien. Bei einer Call-in-Show weiß die Redaktion auch nie genau, ob die Geschichte eines Anrufers wahr ist oder nicht“, so Berens. Allerdings würden die Opinio-Moderatoren Geschichten vor dem Abdruck noch einmal beim Autor gegenchecken und könnten dabei mit gezieltem Nachfragen Unstimmigkeiten entlarven.

Wer einen Blick in die Erstausgabe wirft, bekommt eine lifestyle-lastige Themenmischung aus Fußball, Fitness, Kino und Kochen mit lokalen Themen geboten. Für engagierte politische Diskussionen ist kein Platz. Die ausgewählten Beiträge sind gründlich redigiert und gekürzt worden. So magazinig kommt der Neuling daher, dass man beim Durchblättern glatt vergessen könnte, dass die Artikel nicht von einer festen Redaktion stammen. Die Pseudonyme und Namen der Autoren sind leicht zu übersehen. Nur, wer weiterführende Internet-Verweise sucht, wird enttäuscht. Es fehlt der Ansatz, die Stärken des Online-Pendants ins Print hinüberzuretten. Ein gedrucktes Opinio, das bloß nackte Beiträge aus dem Web in ein Zeitschriftenlayout stopft, verkauft sich unter Wert.

Immerhin ist die Online-Resonanz zufriedenstellend: In der Testphase seit Mitte Dezember wurden mehr als 1.000 Beiträge gepostet. Wenn Opinio auch als Beilage ankommt, will die Rheinische Post das Heft noch in diesem Jahr eigenständig am Kiosk vertreiben. Boogie-Mann Schütte hat noch größere Pläne: „Wir wollen aus Opinio eine nationale Marke machen.“ Dann hat vielleicht bald jede große Regionalzeitung ihr eigenes Meinungsmagazin – oder wenigstens ihre eigenen Allerwelts-Edelfedern.