: Der Glamour sagt tschöchen
Zieht der Musiksender Viva nach Berlin, ist es erst mal wieder vorbei mit den Träumereien vom Medienland am Rhein
AUS KÖLN SEBASTIAN SEDLMAYR
Der Verlust des Kölner Musiksenders Viva ist für den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Peer Steinbrück (SPD) ein ziemlich schiefer Tusch zum Auftakt des Landtagswahlkampfs. Schließlich ist der 1993 als Widerpart zu MTV gestartete Kanal das Vorzeigeprodukt der NRW-Standortförderung. Der nun mögliche Abzug des Senders nach Berlin ist aber nur das bislang schillerndste Glied in einer langen Kette medienpolitischer Misserfolge.
Kurze Rückblende: Nordrhein-Westfalen im Landtagswahlkampf 2000. Die Medienbranche soll Kohle und Stahl ersetzen, NRW sich nach dem Willen von Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) als internationaler Medienstandort etablieren. Die Wähler vertrauen ihm: Die SPD gewinnt die Landtagswahl.
Heute, eine Legislaturperiode später, sitzt Clement im Bundeskabinett. In seine Fußstapfen ist 2002 unerwartet der ehemalige Wirtschaftsminister Schleswig-Holsteins getreten: Peer Steinbrück. Der Finanzexperte kam in einer sicherlich ungünstigen medienpolitischen Situation in die Düsseldorfer Staatskanzlei. Der Internet-Boom war vorbei, die Anzeigenmärkte brachen ein. Gleichzeitig drückte eine enorme Schuldenlast auf den Landeshaushalt. Von 2002 auf 2003 stieg die Pro-Kopf-Verschuldung in NRW von 4.899 auf 5.271 Euro.
Steinbrücks Konsequenz: sparen und auf die Kernaufgaben besinnen. Ein sicherlich notwendiger Schritt. Doch die Medienwelt lebt nicht nur von Mittelzuweisungen, sondern zu einem wichtigen Teil auch vom schönen Schein. Davon ist in NRW fast nichts geblieben. Wenn sich die SPD am 22. Mai nach 39 Jahren ununterbrochener Regierungsmacht wiederum für fünf Jahre die Mehrheit im Düsseldorfer Landtag sichert – und die Umfragen sprechen derzeit dafür – dann kann das nicht an medienpolitischen Erfolgen liegen.
Gute Nachrichten? Die Filmstiftung NRW hat mit 30 Millionen Euro zum Teil hervorragende Filme gefördert, darunter „Alles auf Zucker“ und „Aus der Tiefe des Raumes“. Mit der bayerischen Schwester zu „German Films“ zusammengeschlossen, wirbt die Stiftung auch für deutsche Produktionen im Ausland. Für das Grimme-Institut ist mit dem Chef von epd-Medien, Uwe Kamman, ein renommierter neuer Geschäftsführer gefunden. An der Internationalen Filmschule (ifs) in Köln werden in diesem Jahr die ersten Absolventen erwartet. Ebenfalls in Köln öffnet in diesem Jahr ein neues Gründerzentrum für Nachwuchsproduzenten, in das dann – so die Hoffnung von Stadt und Land – die ifs-Abgänger einziehen und Filme machen sollen. Überhaupt ist NRW mehr denn je der Standort für TV-Produktionen in Deutschland. Und Harald Schmidt ist zurück in Köln. Aber damit hat die Staatskanzlei nun wirklich nichts zu tun.
Die erwähnten Achtungserfolge NRWs gehen unter. Stattdessen macht die „Horrorliste“ die Runde: Die Musikmesse Popkomm ist nach Berlin abgewandert, Viva auf dem Sprung. Die landeseigene NRW Medien GmbH, welche seit 2001 die Medienaktivitäten des Landes bündeln sollte, musste abgewickelt werden, vom Europäischen Medieninstitut in Düsseldorf blieb nur Leiter Jo Groebel.
Zuletzt hat ein über die Medien ausgefochtener Kampf mit dem WDR über die Zukunft des öffentlich-rechtlich finanzierten Rundfunks extrem miese Stimmung am Rhein verbreitet. Steinbrück warf dem Sender vor, die Abgrenzung von den Privaten bei seinen kommerziellen Aktivitäten zu vernachlässigen. WDR-Intendant Fritz Pleitgen schoss zurück, er werde sich vom Ministerpräsidenten nicht ins Konzept funken lassen, das im Übrigen allen Anforderungen eines gebührenfinanzierten Rundfunks vollauf genüge. Die Fäden im Hintergrund spinnt für den oft unbedarft wirkenden Steinbrück seine Medienstaatssekretärin Miriam Meckel (siehe Portrait). Die 37-Jährige ist die einzige Person in seiner Nähe, an die sich der Ministerpräsident wenden kann, wenn er medienpolitisches Know-how sucht. Selbst verfügt er nicht darüber. Und es interessiert ihn offenbar auch nicht. Bei der Jahresbilanz 2004 – in Steinbrücks Worten zur Überraschung der anwesenden Journalisten „ein positives Jahr für den Medienstandort NRW“ – bezeichnete er die Medienpolitik als „sehr spezielles Thema“. Doch das entspricht nicht dem Verständnis im Land und auch nicht dem der SPD.
In der Fraktion murrt man immer lauter über das medienpolitische Desaster, das Steinbrück angerechnet wird. Eine befriedigende Antwort darauf, wie das Land aus der Krise finden soll, bleibt der SPD-Spitzenkandidat bislang schuldig. Für das Wahlergebnis im Mai wird ihm sicher nützen, dass die Wähler die Pflichten der Haushaltsdisziplin höher bewerten als die Kür einer glamourösen Medienpolitik.