: Kino in der Sackgasse
Berlinale Star-Album (5): Julia Hummer
Grauer Matsch. Spritzt. Klebt. Der Potsdamer Platz taut. Weiße Flocken schweben in der Luft. Der Platz lässt sich einschneien. Seltsame Gleichzeitigkeiten. Die Nachrichtenader pulsiert. Weiter. Unten, im Bauch der Stadt rattert die U-Bahn. Bahnhof Potsdamer Platz: „Michael Jackson in Notaufnahme eingeliefert“.
Eine Frau, krankenschwesternweiß, schleppt sich durch die Gänge. Innensicht. Auf der Leinwand des Berlinale Palasts wandeln die Gespenster. Groß erwartet. Ein Bär in Sicht? Vielleicht. In jedem Fall: sehr gewollt. „Gespenster“, der dritte deutsche Wettbewerbsbeitrag. Hoffnungsüberladen. Christian Petzold, Regisseur, erfüllt sich einen Wunsch. Antwortet auf eine Frage, die er sich selbst gewünscht hat. Bläst den Rauch seiner Zigarette in die Luft. Verknüpft seine Fäden. Spinnt seine Erzählungen. Drei Frauen. Im Hier und Jetzt. Am Potsdamer Platz. Schauplatz Berlin. Eine Stadtfilmgeschichte. „Der Potsdamer Platz als Schauplatz meines Films ist Teil des dargestellten Raums“, sagt Petzold, „keine Kulisse.“ Deutsches Kino. Julia Hummer wedelt den Rauch ihrer Zigarette vor ihrer Nase weg. „Oh Mann,“ sagt sie dann, während sie ihre Zuhörer mit großen Augen anguckt: „Oh Mann, dachte ich vor Drehbeginn, wenn das nun wieder drei Monate dauert, bis ich aus dieser Traurigkeit, dieser Introvertiertheit rauskomme.“ Pause. Sie grinst. Ein Görengrinsen. „Aber dann war alles gar nicht so schlimm.“ Deutsches Kino. Ganz bei sich. Eines der jungen Gesichter des deutschen Films. Innere Sicherheiten.
Die Julia Hummer auf der Leinwand verdoppelt sich. Verschiebt sich. Der Film steht. Schwarze Leinwand. Filmriss. Seltsame Koinzidenzen. Ein kurzes Aufwachen aus der Filmkünstlichkeit. Dann läuft der Film wieder. Die Julia Hummer auf der Leinwand schlurft weiter. Durch den Tiergarten, den Park am Potsdamer Platz.
In eine Märchenwelt, wie Petzold vorab sehr oft erklärt hat, wollte er entführen. Grimms Märchenwelt. Im Heute. Zwei streunende Mädchen, ohne Vergangenheit, nur im Hier und Jetzt. „Leben in absoluter Gegenwärtigkeit“. Sagt Petzold.
Eine Mutter, die in einem der Mädchen ihr verlorenes Kind wiederzuerkennen glaubt. „Ein Leben, gefangen in der Vergangenheit“, sagt Petzhold.
Zwei Erzählungen. Drei Innenwelten. Deutsches Kino. Eine der Sackgassen am Potsdamer Platz heißt jetzt „Brüder Grimm Straße“. Im Hier und Jetzt. Nach Petzolds Film.
Petzold? Dreht bald eine Trilogie. „Über die Ehe“.
Michael Jackson? Grippe. „Prozess aufgeschoben“.
SUSANNE LANG