Swingende Geschichtswerkstatt

Authentizität im Unterhaltungsformat: Die „Inseln der Glückseligkeit“ der „Ariolas“ beweisen, dass eine gute Show vielfältigen Erkenntnisgewinn beinhalten kann

Von Henning Bleyl

Die Zeiten des Waller Goldrausches in Gestalt des Vergnügungsviertels „Die Küste“ sind schon eine Weile vorbei. Doch dank Frauke Wilhelm und Peter Apel, die zusammen die Band „Die Ariolas“ bilden, kann man per inszeniertem Musikprogramm tief in das Milieu aus Puffs und Amüsierbetrieben eintauchen, der durch den benachbarten Freihafen einen ungeheuren Boom erlebte.

Die „Inseln der Glückseligkeit“ der Ariolas erfüllt den eigentlich unsympathischen Begriff des Infotainments mit neuem Sinn: Apel und Wilhelm verwenden für ihre Show ausschließlich Originalmaterial, das sie durch Zeitzeugen-Interviews mit Barfrauen, Taxifahrern, ehemaligen Freiern und Krankenschwestern zusammengetragen haben. Diese mit viel Aufwand betriebene Oral History wird zur durchchoreografierten Bühnenshow, in der Wilhelm die mit allen Wassern gewaschene Animierdame gibt.

Manch einer der älteren Semester im Publikum, das etwa bei „Santo Domingo“ begeistert mitsingt, könnte sich durchaus auf den an die Wand projizierten Fotografien wiedererkennen, und das wäre nicht in jedem Fall vorteilhaft: Das großflächige „Fotoalbum“ zeigt viele Facetten des damaligen Nachtlebens zwischen derangiert und heftigst amüsiert, die sich nicht nur wegen ihres 50er und 60er-Charmes einprägen. Bars wie das „Golden City“ sollen seinerzeit in Seemannskreisen weltweit bekannt gewesen sein – bis die Container die Liegezeiten der Schiffe minimierten und Bremen-Stadt ohnehin links liegen ließen.

Mit dem Ausbau der Nordstraße Mitte der 70er wurden aus Sicht der Stadtverwaltung dann zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Der Fahrbahnverbreiterung fielen praktischerweise die anliegenden Clubs zum Opfer, wegen deren wilden Kondommülls schon manche Anwohnerinitiative aktiv wurde.

Um in all‘ diese Zeitbezüge einzutauchen, haben sich die „Ariolas“ mit der „Treue“, dem an der Schlachte liegenden Betonschiff, einen seinerseits ziemlich geschichtsträchtigen Ort gesucht. Der frühere Holzfrachter diente schon als schwimmende Motorradwerkstatt und als „Shark Lounge“-Disco, als letztere schlingerte sie in die Insolvenz. Neben Unmengen an Einrichtungskrempel erbten die neuen Betreiber leider auch die Gerüchte, die „Treue“ sei irgendwie „Nazi-affin“. Es stimmt zwar, dass die Hooligan-Vereinigung „Standarte Bremen“, die auf ihrer Homepage unter anderem die „Einmischung in die Aufstellung der ,deutschen‘ Fußballnationalmannschaft durch den Zentralrat der Juden“ beklagt, 2005 ihr 15-jähriges Bestehen auf dem Schiff feierte – verbunden mit dem Umstand, dass die „Treue“ 1943 als Teil der Transportflotte „Speer“ gebaut wurde, deren Konstruktionsweise kriegswichtiges Metall sparte, legte das entsprechende Befürchtungen nah.

Doch die sind komplett überholt: Das inhaltliche Programm der aktuellen Betreiber, die das Schiff sicher nicht an „Standarten“ und dergleichen vermieten würden, ist über jeden Verdacht erhaben: Ambitionierte Independent-Musik und absolut sehenswerte „Ariolas“.

■ Samstag auf der „Treue“: Capoeira-Konzertparty (22 Uhr), die nächsten „Ariola“-Auftritte: Mittwoch und Donnerstag, jeweils 20 Uhr. Karten: ☎ (0421) 33 62 826