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Archiv-Artikel

„Die Reform reicht nicht“

Der Sänger Sivan Perwer gilt als eine Ikone des kurdischen Widerstands. Ein Gespräch über den politischen Frühling der Kurden im Irak, die Reformen in der Türkei und die kurdische Kultur im Exil

INTERVIEW DANIEL BAX

taz: Herr Perwer, kürzlich wurde im Irak gewählt, die kurdischen Parteien haben ein Viertel aller Stimmen erhalten. Bald werden sie wohl in Bagdad mit regieren. Was sagen Sie dazu?

Sivan Perwer: Das ist ein sehr gutes Ergebnis. Die Kurden haben lange große Schwierigkeiten erdulden müssen. Die Regimes in Bagdad kamen und gingen, aber nie hat sich für sie etwas zum Besseren gewendet. Aber wenn man heute Irakisch-Kurdistan besucht, dann kann man sehen, dass die Kurden in der Lage sind, in Demokratie und Freiheit zu leben, Wohlstand aufzubauen und in Frieden mit anderen Völkern zu leben. Man muss aber auch sagen: Seit 14 Jahren werden die Kurden von Amerika geschützt.

Viele glauben, dass die Kurden im Irak im Grunde nach Unabhängigkeit streben. Wird es dazu kommen?

Das hängt von der weiteren Entwicklung ab, auch von der künftigen Regierung. Wenn diese das Chaos und den Terror nicht unter Kontrolle bringt, werden sich die Kurden vor der Situation schützen müssen. Aber diese Frage kann nicht von den Kurden alleine entschieden werden: Das hängt auch von der Weltpolitik ab. In dieser Region haben schon immer viele Mächte ihre Interessen verfolgt: Die Kurden waren da immer nur ein Spielball.

Sie stammen aus der Türkei. Auch dort hat es ja Reformen gegeben, die den Kurden mehr Rechte bieten.

Die Türkei blickt auf eine sehr unheilvolle Politik der Zwangsassimilierung zurück. Ich würde gerne sagen, dass die Türkei auf einem besseren Weg ist, aber ich sehe das noch nicht so. Mehr als zwanzig Millionen Kurden leben in der Türkei, das ist ein großes Volk. Aber ihr Selbstbewusstsein wurde systematisch zerstört: Ihnen wurde gesagt, das ist eine Bergsprache, ein gestörter türkischer Dialekt. Und was ist heute denn besser geworden? Wenn die Leute jetzt ein bisschen Musik hören oder ihre Sprache sprechen können, ist das noch nicht die Lösung. Eine halbe Stunde Nachrichten auf Kurdisch im staatlichen Fernsehen, das ist doch nicht genug! Es gibt mehr als fünfzig türkische TV-Sender, und es gibt vier, fünf private kurdische Satellitensender, die rund um die Uhr ihr Programm ausstrahlen. Aber die werden von der Türkei nicht akzeptiert.

Früher wurden Ihre Kassetten verboten, später zensiert, heute sind sie frei erhältlich. Was hat sich dadurch für Sie geändert?

Einige sind noch immer verboten, andere frei verkäuflich. An einer Stelle gibt es Zensur, an einer anderen nicht. Aber das Ergebnis fällt immer zu Ungunsten der kurdischen Musik aus.

Gibt es in der Türkei noch eine Zensur?

Aber ja! Zum Beispiel darf man immer noch nicht „Kurdistan“ sagen, das Wort ist vielen Türken unangenehm. Dabei ist das seit über tausend Jahren der Name für eine geografische Region. Die populärsten Musiker in der Türkei sind Kurden. Aber sie müssen auf Türkisch singen, um Erfolg zu haben.

Es gibt in der Türkei jetzt aber auch junge Bands wie „Kardes Türküler“, die auf Kurdisch singen und damit zumindest unter Studenten und Intellektuellen Erfolg haben, oder?

Ja, mit „Kardes Türküler“ habe ich auch schon zusammen gespielt. Sie führen alte, traditionelle kurdische Lieder, aber auch armenische oder türkische Volkslieder in ihrem Repertoire. Es gibt einen Freiraum, aber der ist klein. Und es gibt keinen Markt für kurdische Musik: Viele Produzenten haben Angst, ein kurdisches Album herauszubringen, weil es finanziell riskant ist.

Kürzlich gaben Sie einer türkischen Zeitschrift ein Interview. Nun soll Sie der türkische Kulturminister für ein Konzert in die Türkei eingeladen haben. Stimmt das?

Ja, und ich würde natürlich gerne dort auftreten. Aber die Türkei wird nicht allein von ihrer Regierung vertreten. Es gibt noch andere Mächte, das Militär, die etwas zu sagen haben. Und sie können sich sicher sein, dass ich dort nicht so frei auftreten könnte, wie ich es wollte, ich müsste Kompromisse schließen.

Sie leben seit fast 30 Jahren im Ausland. Welche Rolle spielt das Exil für die kurdische Kultur?

Wegen der politischen und ökonomischen Situation blieb vielen kurdischen Musikern nur die Emigration. Deswegen findet man kurdische Musiker heute in der ganzen Welt, die meisten vielleicht in Deutschland, Holland und Schweden. Die meisten sind selbständig geblieben, andere haben sich in den Dienst politischer Organisationen gestellt.

Als kurdischer Musiker spielen Sie stets auch eine politische Rolle. Ist das eine Belastung?

Nein. Ich bin zwar Musiker. Aber wenn mein Volk unter solchen Schwierigkeiten leidet, betrifft das auch mich. Und wenn ich diese Situation in meinen Liedern anspreche, dann wird das natürlich als politisch angesehen. Darum gelte ich als Protestsänger: Weil ich in meinen Liedern viel über die Kurden und ihre Geschichte erzähle.

Sie haben kürzlich eine Kulturstiftung gegründet. Was soll die bewirken?

Es ist eine eigenständige Organisation, ohne politische Orientierung. Unser Ziel ist es, Kontakte zwischen kurdischen Musikern und Kollegen in aller Welt zu fördern oder zwischen kurdischen Musikern in der Region und solchen im Ausland. Wir wollen Zentren für kurdische Musiker aufbauen und die Möglichkeiten vor Ort verbessern.