: Zurück zum Ausländer
Jetzt zeigt sich die Tücke des neuen Staatsangehörigkeitsrechts – Tausende von Türken verlieren ihren deutschen Pass. Die „Jahrhundertreform“ muss wieder auf die Agenda
Als das neue Staatsangehörigkeitsrecht in Kraft trat, wurde es als „Jahrhundertreform“ gefeiert: Die Staatsangehörigkeit sei nun nicht mehr vom Blut abhängig, sondern von der Geburt im Lande. Nicht wenige Kommentatoren wiesen damals darauf hin, dass dieses Gesetz seine Tücken hat. Die Probleme zeigen sich früher als erwartet. Zehntausende Deutsche türkischer Herkunft werden in diesen Wochen ihre deutsche Staatsangehörigkeit wieder verlieren, weil sie etwas gemacht haben, das nach dem neuen Recht verboten ist, aber in den Neunzigerjahren Gang und Gäbe war: Zuerst den türkischen Pass abgeben und nach der Einbürgerung zum Konsulat gehen und die türkische Staatsangehörigkeit wieder zurückholen.
Die doppelte Staatsbürgerschaft war immer eine Forderung, die von den Migranten selbst gestellt wurde. Vor der Einführung des neuen Gesetzes wurde sie zumindest toleriert – nach dem neuen Gesetz ist sie ausdrücklich verboten. Dass es jetzt tatsächlich Ausbürgerungen in so großer Zahl gibt, ist sowohl angesichts der deutschen Geschichte als auch im Hinblick auf das viel beschworene Ziel der Integration eine veritable Katastrophe. Es wird Zeit, die doppelte Staatsbürgerschaft für Nicht-EU-Bürger noch einmal mit Nachdruck auf die Agenda zu setzen – ansonsten könnte das angeblich liberale neue Staatsangehörigkeitsrecht die Ausgrenzung noch verstärken.
Die Entziehung der Staatsangehörigkeit ist beileibe keine Kleinigkeit. Man muss sich schon wundern, dass es zwar einen gesellschaftlichen Aufschrei gibt, wenn 5.000 Rechtsradikale in Dresden das Gedenken stören, aber die Entrechtung einer so großen Menge von Personen kaum Diskussionen auslöst. In der Verfassung steht, dass man die Staatsangehörigkeit nicht absprechen darf, wenn jemand dadurch „staatenlos“ wird. Das hat einen präzisen historischen Grund: Es waren die Juden, „assimilierte“ Juden, die in Deutschland während des „Dritten Reiches“ ausgebürgert wurden. Zweifellos kann man die damalige Situation mit der heute nicht vergleichen, denn schließlich werden die Personen, um die es jetzt geht, nicht „staatenlos“, sondern wieder zu Türken. Aber die Rückentwicklung zum „Ausländer“ ruft die Erinnerung daran wach, dass sich der deutsche Staat in seiner Geschichte gegenüber seinen Bürgern anderer Herkunft nicht loyal verhalten hat. Diese mangelnde Loyalität verträgt sich kaum mit der neuerdings wieder penetrant vorgetragenen Forderung nach Integration. In der hysterischen Parallelgesellschafts-Diskussion der letzten Monate wurden die meisten Beteiligten nicht müde, das Ende der multikulturellen Gesellschaft zu beschwören und das Prinzip der Integration wieder groß zu schreiben. Nun gibt es statt Eingliederung zehntausende von Ausbürgerungen.
Die entscheidende Frage ist: Warum eigentlich will jemand nach seiner Einbürgerung den Pass seines Herkunftslandes zurückhaben? Im Rahmen einer Untersuchung über Rassismuserfahrungen von Migranten zweiter Generation haben die Beteiligten über „Deutsch-Werden“ gesprochen. Schnell wurde deutlich, dass die meisten erhebliche Vorbehalte hegten. Das hatte vor allem damit zu tun, dass sie sich davor fürchteten, am Ende nur als „Möchtegern-Deutscher“ dazustehen, wie es eine meiner Gesprächspartnerinnen ausdrückte. Viele Migranten glauben, dass die Einbürgerung eine Änderung ihres kompletten Wesens mit sich bringen soll. „Deutsch-Sein“ wird von der Mehrheit hierzulande keineswegs als staatsbürgerlicher Status gesehen, den man erwerben und durch Teilhabe am demokratischen Gemeinwesen bestätigen kann, sondern als schicksalhafte, unveränderliche, ethnokulturelle Qualität. Das vermittelt den Migranten das Gefühl, dass sie alle anderen kulturellen Erfahrungen verleugnen und ablegen müssen, um im rechtlichen Sinne als Deutsche anerkannt zu werden. Allerdings führt selbst die Assimilation nicht zur Anerkennung. Denn bekanntlich reicht in der Bundesrepublik jedes Fitzelchen Fremdheit aus – sei es der Name, sei es das Aussehen, seien es bestimmte kulturelle Accessoires –, damit die Person symbolisch wieder ausgebürgert wird. „Woher kommst du?“, lautet die übliche Frage und diese Frage muss mit dem Namen des jeweiligen Herkunftslandes beantwortet werden. Als eine der nervigsten Journalistenfragen nannte die Schauspielerin Sibel Kekilli, Deutsche türkischer Herkunft: „Wie fühlen Sie sich, deutsch oder türkisch?“ In Talkshows zum Thema werden frisch eingebürgerte Personen nicht als Deutsche willkommen geheißen, sondern sie müssen sich Fragen gefallen lassen wie: „Jetzt haben Sie Ihren türkischen Pass abgegeben, Sie haben den deutschen Pass: was sind Sie denn jetzt?“ Deutsche mit Migrationshintergrund werden eben landläufig nur als „Pass-Deutsche“ angesehen – wenn man so will: als „Möchtegern-Deutsche“.
Ist es angesichts solcher Erfahrungen verwunderlich, dass zahlreiche Migranten lieber „Ausländer“ bleiben? Die Einbürgerungszahlen sind bekanntlich nicht so sprunghaft in die Höhe geschossen, wie die freudetrunkene Regierung nach der Einführung des neuen Gesetzes annahm. Die Entscheidung zugunsten der deutschen Staatsangehörigkeit fällt zumeist ganz pragmatisch – man will im Herkunftsland nicht zum Militär, man will endlich ohne Visa reisen können, man will keine Probleme mehr auf dem Arbeitsamt oder auch endlich mal bei einer Wahl seine Meinung kundtun. Für diejenigen, die den Schritt gegangen sind, fungiert die Staatsangehörigkeit des Herkunftslandes dabei als eine Art Rückversicherung gegen den Status des „Möchtegern-Deutschen“. Durch die jetzige Androhung der Ausbürgerung für zehntausende von Personen türkischer Herkunft wird bei den Migranten endgültig das Bewusstsein geschürt, dass sie niemals wirklich Deutsche werden können und dass selbst die Staatsangehörigkeit sie nicht schützt. Am Ende gibt es immer noch irgendeine Regelung, die man übersehen hat oder die man nicht versteht, die einen schließlich den Kopf kosten kann. Die Regelungen des Ausländerrechts sind nahezu kafkaesk und die meisten, die jetzt von der Ausbürgerung bedroht sind, werden kaum gewusst haben, dass sie damit ihren neu erworbenen Status gefährden. Vor ein paar Jahren ist es sogar dem FDP-Politiker Giorgos Chatzimarkakis passiert, dass er nicht heiraten konnte, weil ein Beamter auf dem Standesamt nach einem Blick auf seine Geburtsurkunde behauptete, dass er kein Deutscher sein könne.
Wenn die „Jahrhundertreform“ nicht auf halber Strecke zum Stehen kommen soll, dann muss die doppelte Staatsbürgerschaft wieder zugelassen werden. Vor allem im Hinblick auf die Zukunft. Derzeit eingebürgerte Kinder ausländischer Eltern dürfen die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern behalten, bis sie volljährig werden – dann müssen sie sich für eine Staatsangehörigkeit entscheiden. Die wahre Ausbürgerungswelle könnte also noch bevorstehen.
MARK TERKESSIDIS